Was hilft gegen kriminelle Familienclans? Bei Maybrit Illner geht es nach dem Konflikt des Rappers Bushido mit einer Großfamilie, deren Chef bisher sein Geschäftspartner war, um neues Problembewusstsein in der Politik. Das setzt aber Einblick in ein komplexes Netzwerk voraus.
Kürzlich gab es in NRW einen Großeinsatz von 1.300 Polizisten gegen Clankriminalität. NRW-Innenminister Herbert Reul sagte dazu: „Die kriminellen Clanmitglieder sollen merken, wir lassen sie nicht in Ruhe – zu keiner Zeit und an keinem Ort.“ Auch in Berlin sind Polizei und Strafverfolger dazu übergegangen, mit Razzien und Beschlagnahmungen das Geschäftsmodell krimineller Clans effektiver als bisher zu bekämpfen. Vermögenswerte wie etwa Immobilien können bis zu 30 Jahre konfisziert werden. Verdächtige müssen beweisen, dass sie die beschlagnahmten Vermögenswerte legal erworben haben.
Unter dem Einfluss der Clans stehen in Berlin viele Shisha-Bars, die in manchen Nachbarschaften wie Pilze aus dem Boden schießen. Besonders auffällig ist das am Schöneberger Nollendorfplatz. Es gehört zu den unbeabsichtigten Nebenwirkungen der örtlichen Stadtplanung, dass eine Nachbarschaft wie etwa die früher sehr gemütliche Maaßenstraße durch eine hübsch-hässliche Verkehrsberuhigung manchen Tunichtguten Gelegenheit gibt, in aufgemotzten Riesen-SUVs und röhrenden Rennautos im Schritt-Tempo ihr vermeintliches Revier zu durchqueren. Man hat ihnen die Paradestrecke fürs Angeben mit Zierelefanten und Sitzinseln frei Haus geliefert. Aus halboffenen Fenstern wummert Musik mit zweifelhaften Botschaften.
Das Problembewusstsein ist bei der Politik mit bedauerlicher Verzögerung angekommen. Man hat viele Jahre einen Sachverhalt übersehen, der die Integration von Zuwanderern erheblich beeinflusst: Kommen sie in Großfamilien oder Clans, erschwert der Familienverbund die Integration seiner Mitglieder, denn Integration ist immer ein individueller Prozess, der von der Kita über die Schule bis zur Ausbildung reicht. Darüber hat der Politikwissenschaftler Ralph Ghadban kürzlich ein Buch herausgebracht: Arabische Clans – Die unterschätzte Gefahr.
Kulturell verblendete Selbstermächtigung
Das Geschäftsmodell der Clans setzt auf Schutzgeld, Drogenhandel und Prostitution, Raub, Erpressung und Mord. Dass kürzlich der Rapper Bushido in Konflikt mit einer Großfamilie geriet, deren Chef bisher sein Geschäftspartner war, ermöglicht ein anderes Verständnis dieser Musikkultur. Beim Berlin Documentary Forum hat der französische Kulturtheoretiker Sylvère Lotringer im Juni 2014 ein ähnliches Thema beleuchtet: den mexikanischen Narco-Kapitalismus. Er bringt wie die hiesigen Rapper sein eigenes Liedgut heraus. Der illegale mexikanische Hilfsarbeiter, der ohne Führerschein auf der Route 66 nach Norden fährt, hört die Lieder der Drogengangs und fühlt sich selbst wie einer ihrer Helden, ein Fall kulturell verblendeter Selbstermächtigung. Auch gute Musikkritik kann kriminalpräventiv wirken.
Neue Instrumente für die Strafverfolger
Die Polizei hat andere Aufgaben. Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, hat gewiss nicht vor, in das Fach der Musikkritik zu wechseln. Er begrüßt, dass die Politik Problembewusstsein entwickelt hat und der Polizei neue Möglichkeiten gibt, gegen kriminelle Clans vorzugehen. Ralph Ghabdan beschreibt das Dilemma: Man wird in den Clan hineingeboren, man tritt ihm nicht bei. Weil alles in der Familie bleibt, gebe es auch so gut wie keine Möglichkeit, V-Leute in Clans einzuschleusen.
Fiedler resümiert die Handicaps der polizeilichen Arbeit. Bis vor wenigen Jahren gab es nicht einmal angemessene Lagebilder aus Furcht davor, diskriminierend zu handeln. Es fehlte an politischer Rückendeckung. So werden Versäumnisse einer unzureichend durchdachten Integrationspolitik fatal. „Wir werden kurzfristige Erfolge hier nicht erzielen können, das wird nicht passieren“, sagt Fiedler. Um nicht zu scheitern, müsse die Politik alle am Vorgehen gegen die Clans beteiligten staatlichen Stellen in die Lage versetzen, „über fünf bis zehn Jahre hier mit einem hohen Personalansatz unterwegs zu sein“.
Der Zusammenhalt der Clans macht es fast unmöglich, Aussteigerprogramme zu realisieren. Laura Garavini und Ralph Ghabdan plädieren dafür, über Ideen nachzudenken, wie Frauen, Mädchen und Jugendlichen durch geeignete Maßnahmen geholfen werden könnte, ihren Familien zu entkommen. Weil die Situation so kompliziert ist, dauern manche Ermittlungsverfahren bis zu zehn Jahren.
Einträgliche Rap-Maskottchen
Der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt erinnert daran, dass es den Strafverfolgern im vergangenen Jahr gelungen ist, 77 Immobilien zu beschlagnahmen. Das Umfeld der Clans ist sogar Thema einer TV-Serie, die für ihren ungeschminkten Realismus gelobt wird. Sind die Gangster-Rapper Maskottchen dieser Subkultur oder gar informelle Werbeträger wie die Narco-Liedermacher der mexikanischen Drogenkartelle? Wenn das so sein sollte, dann läge es nahe, darüber nachzudenken, wie dieser Popularität die Luft aus den dicken Autoreifen gelassen werden kann. Die Verbrechensbekämpfer konstatieren nüchtern, dass das Musikgeschäft mehr einbringe als Prostitution oder Shisha-Bars.
Manche tanzen der Polizei und den Gerichten buchstäblich auf der Nase herum. Ermittlungen gegen zwei Zwillingsbrüder, die wegen eines Millionenraubs im Berliner KaDeWe verdächtigt wurden, mussten eingestellt werden, weil eine DNA-Spur vom Tatort keinem der beiden eindeutig zugeordnet werden konnte.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß
Für Rechtsanwalt László Anisic ist der Sachverhalt klar. Jeder Beschuldigte hat das Recht auf sachgerechte Verteidigung. Ihm gehen die neuen Instrumente und Methoden der Strafverfolger zu weit. Bei der Vermögensabschöpfung werde die Beweislast umgekehrt. Für ihn gilt, ohne dass er damit auf die Familienehre von Clans rekurriert, das Zeugnisverweigerungsrecht naher Familienangehöriger. Als Strafverteidiger kann er seine Mandanten unbefangener verteidigen, wenn er nicht weiß, was sie gemacht haben. Das Strafgesetzbuch kenne keine Clans.
Ralph Ghabdan vertieft das Verständnis der familialen Strukturen von Clans. Der moderne Begriff des Individuums ist ihnen fremd. Sie stammen aus bäuerlichen und nomadischen Kulturen. Ihren Nachwuchs zu integrieren gelinge nur, indem man die Clanstruktur sprenge. Die italienische Mafia operiere diskreter als die arabischen Clans, bemerkt Laura Garavini, die den Verein „Mafia nein danke“ gegründet hat. Sie sei freundlich und geschäftstüchtig und verlege sich seit langem schon auf Weiße-Kragen-Kriminalität. Die Berliner Clans nervt es, dass die Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr über einhundert teure Autos beschlagnahmt hat.
Taub und blind gegen Geldwäsche
Sebastian Fiedler findet die Relationen lachhaft. Mit krimineller Schattenwirtschaft werden in Deutschland jährlich 100 Milliarden Euro erwirtschaftet. Die bisher beschlagnahmten Vermögenswerte betragen nicht einmal ein Prozent. Er beklagt, dass durch Verfügung des Bundesfinanzministeriums die Abteilungen für Ermittlungen wegen Geldwäsche vom Bundeskriminalamt und den LKAs an den Zoll gegangen sind: der aber sei taub und blind. Es gebe dagegen ein Vertragsverletzungsabkommen gegen Deutschland, das in Brüssel vor sich hin schwelt. Um erfolgreich im Ruhrgebiet gegen 50 Clans zu ermitteln, seien 150 Kriminalbeamte erforderlich. Solche Einheiten müssten extrem langfristig arbeiten.
Frau Garavini hält es für sinnvoll, an der Verbrechensbekämpfung auch die Zivilgesellschaft zu beteiligen. Wer als Geschäftsinhaber sich weigert, Schutzgeld zu zahlen, mache das öffentlich sichtbar. Gut wäre es aber schon, wenn die örtliche Polizeistelle schnell vor Ort wäre, wenn der Erpressung Handgreiflichkeiten folgten.
Ralph Ghabdan amüsiert sich über den Abou-Chaker Clan, dessen Chef Bushido bedroht hat. Das sei nur ein Möchtegernclan. Bushido stehe nun unter dem Schutz eines weitaus größeren Clans. Schwachpunkte und Rückgrat in der Organisation der Clans seien Frauen und Kinder. Hebel gegen ihre Abschottung seien Gesetze gegen Zwangsverheiratung und die Verheiratung Minderjähriger. Gegen Ehen zwischen nahen Verwandten, etwa Nichten und Neffen, müsse ebenso energisch vorgegangen werden.
Wie man sieht, gibt es auch für Familiensoziologen neue Aufgaben.