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Magazin Film „Sauvage“: Leiden an der unerfüllten Liebe

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Film „Sauvage“: Leiden an der unerfüllten Liebe

Immer geht es in deren Filmen auch um die Mechanik der Demütigung, ein Topos innerhalb der Prostitution, den Vidal-Naquet in sein Gegenteil ...

 

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Am Rand einer Ausfallstraße stehen die Männer in Positur wie Tänzer auf einer Bühne. Die Körper gestreckt, die Muskeln bloßgelegt unter engen T-Shirts, die Haltung herausfordernd ohne sich anzubiedern. Die Kundschaft rollt in lautlosen Limousinen mit Ledersitzen heran, meist sind es ältere Männer, am heruntergelassenen Autofenster wird verhandelt, manchmal steigt einer der jungen Männer ein, manchmal wird der Auftrag direkt am Wagen erledigt oder im angrenzenden Dickicht.

Die Verkäufer haben untereinander Preisabsprachen getroffen, wer sich nicht daran hält, riskiert Schläge. All dies wird verzeichnet von einer ruhig geführten Handkamera, die den Figuren folgt, die Spuren auf ihrer Haut abtastet, Narben, Tätowierungen, Schweiß, die Erde unter den Fingernägeln, die Schrunden im Asphalt, auf dem sie straucheln, die Clubs, in denen sie sich aus ihrem Erwerbsdasein lösen, wie andere auch.

Nuancen der Empfindung

„Sauvage“ spielt im Marktsegment der Straßenprostitution, aber er handelt nicht davon. Der Verkauf sexueller Dienste ist eine Tatsache, aber kein Feld, das der Regisseur Camille Vidal-Naquet erforscht. Ihn interessiert vielmehr der Zustand, den seine Hauptfigur, ein junger Mann namens Léo, nahezu schweigend sichtbar macht: Den der unerwiderten Liebe. Es bräuchte ein ganzes Glossar, um die Nuancen der Empfindungen zu erfassen, die Léo durchlebt. Er ist der Liebende, ganz im Sinn von Roland Barthes großem Essay „Fragmente einer Sprache der Liebe“ – ein Liebender, der sich im freien Fall extremer Einsamkeit befindet, denn der Geliebte ist der, auf den er wartet, der ihm nie die Erfüllung gewährt, nach der er sich sehnt.

Der Mann, den Léo für anbetungswürdig hält, verkauft seinen Körper wie er. Aber er will nicht mehr als ein Beschützer für Léo sein, Léo kämpft um seine Liebe wie ein zurückgewiesenes Kind. Immer wieder rennt er gegen die breite Brust des Geliebten, der aber sagt ihm, er sei nicht einmal schwul. In den letzten qualvollen Volten der ungleichen Beziehung wirft er Léo hin: „Such Dir einen Alten, du verdienst es, geliebt zu werden.“

Getragen wird diese stringent strukturierte Geschichte einer unglücklichen Liebe von einem Schauspieler, der so begabt ist, dass man um ihn fürchten muss. Félix Maritaud, 25 Jahre alt, war die Entdeckung von Cannes in diesem Jahr und wurde dort mit einem Nachwuchspreis ausgezeichnet.


Maritaud hat das Gesicht eines misshandelten Engels, geschunden und unverwundbar, arglos und abgebrüht, verloren und gesegnet. Er weiß nicht, warum er etwas anderes tun sollte, als er tut. Deshalb versteht er die Ärztin nicht, die ihn fragt: „Haben Sie keine Lust auf was anderes?“ Eine Begegnung voller Einfühlsamkeit und Anmut, alles liegt im Blick Léos und in seiner plötzlichen erschöpften Umarmung.

Solche Figuren gibt es selbst im französischen Kino nur noch selten, sie kommen hinübergeweht aus einer anderen Zeit, einer Zeit, die der 1972 geborene Regisseur nicht erlebt hat, die aber doch seinen Humus bildet. So wurde ihm etwa Agnès Vardas „Vogelfrei“(„Sans toit ni loi“), das Porträt einer Landstreicherin aus dem Jahr 1985, zur Inspiration für sein Spielfilmdebut. Die ziellose Bewegung im Raum, das von jedem Zeitbegriff abgekoppelte Dasein ohne „Dach und Gesetz“ findet sich auch in „Sauvage“. Aber Léo verfügt über eine Zärtlichkeit und Sanftheit, die der von Sandrine Bonnaire gespielten Streunerin in „Vogelfrei“ fehlen. Ihr Freiheitsdrang ist selbstbezogen und daher eng, der Umgang Léos mit anderen hingegen grenzt an Barmherzigkeit.

Mechanik der Demütigung

Er sucht Nähe und Berührung, wo er sie finden kann, einem alten Gelehrten streichelt er den Rücken, so wie dieser zuvor über seine Bücher strich, aus denen ihm Léo nicht vorlesen kann. Das soziale Machtgefälle kennt man aus Patrice Chereaus „Der verführte Mann“ und André Techinés „Ich küsse nicht“. Immer geht es in deren Filmen auch um die Mechanik der Demütigung, ein Topos innerhalb der Prostitution, den Vidal-Naquet in sein Gegenteil verkehrt.

Auch Léo wird von einem sadistischen Paar gequält, aber er sieht seinen Peinigern ins Gesicht und nimmt ihnen damit ihre Verfügungsgewalt. Léo prostituiert sich, ohne sich selbst als Prostituierten zu betrachten – das verdoppelt sein Außenseiter-Dasein innerhalb einer losen Gruppierung von Randexistenzen, die sich an den Peripherien der großen Städte finden. Mit den Freiern gelangen sie hinein in die Altbauwohnungen mit den kanariengelben Designsofas und gerahmter Moderne. Doch Camille Vidal-Naquet diffamiert nicht, sein Blick gleicht dem seiner Hauptfigur. Der liebt sie, was sonst.

Sauvage Buch und Regie: Camille Vidal-Naquet, Kamera: Jacques Girault, Darsteller: Félix Maritaud, Éric Bernard, Nicolas Dibla, Philippe Ohrel, Spielfilm, 99 Minuten, Frankreich, 2018
 
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