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Kuba Mein Erlebnis Cuba

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Dienstag, 14.10.2003 / Georg

Nun bin ich fast 2 Monate wieder hier. Nach vielen eigenen Reflexionen, der Fertigstellung der Abschrift meines Tagebuches (wobei noch einmal viele Bilder wieder lebendig geworden sind), vielen Gesprächen mit Menschen - auch mit einigen Brigade-MitgliederInnen und dem öffentlichen Vortrag bei den Naturfreunden haben sich erste Beurteilungen und Schlussfolgerungen für mich ergeben.

Ich wollte nie als Tourist auf diese Insel, die für mich immer eine besondere Ausstrahlung hatte. Deshalb habe ich mich – über den Bergarbeiterkreis kannte ich den Hauptverantwortlichen der DKP-Kuba-Solidarität – der DKP-Arbeitsbrigade „Che Guevara“ zum Bau einer Klinik für behinderte Kinder in der Stadt Càrdenas angeschlossen.
Ich wollte mir – trotz mangelnder Sprachkenntnisse – das Land, die Gesellschaft und die Menschen „erarbeiten“ – einen tieferen Einblick bekommen. Das ist mir in jedem Fall mehr gelungen, als wenn ich dort als Urlauber angekommen wäre. Der (Arbeits-)Kontakt rund um die Baustelle mit den cubanischen Frauen und Männern, die Einblicke in einzelne Familienverhältnisse, die Unternehmungen auf eigener Faust, die Besichtigungen von Betrieben und öffentlichen Einrichtungen, die Teilnahme an den Demonstrationen zum 1.Mai und zum Jahrestag der Niederschlagung der Invasion in der Schweinebucht und die Mittwochsgespräche mit den verschiedenen Verantwortlichen aus der PCC
(partida communista cuba) und der Gesellschaft haben das ermöglicht.

Meine Hauptfrage, die ich mit in mein Reisegepäck genommen hatte, war, ob es nach der recht lebendigen Revolution 1959 eine besondere Spielart einer „neuen“ Gesellschaft, eine „karibische Variante“ der nachkapitalistischen Entwicklung, eine im alltäglichen Leben spürbare irgendwie andere Lebensart, eine Einbeziehung der Menschen in die Lösung der Probleme der Gesellschaft für mich erkennbar geben würde.
Nach dem Lesen einiger Bücher im Vorfeld – die in der Regel eine Liebeserklärung an Kuba waren – und einer vorbereitenden Diskussion in der Dortmunder Gruppe Arbeiterpolitik war mir die Widersprüchlichkeit der vorzufindenden Entwicklung durchaus bewusst. Aber die realen Erlebnisse und Erfahrungen – auch wenn sie nur auf einen nördlichen Küstenstreifen von rund 500 km beschränkt waren und daher auch nicht für die gesamte Insel gleichzusetzen sind - haben bei mir einen tiefen Eindruck des Nachdenkens hinerlassen und mich auch zu ersten Schlussfolgerungen kommen lassen.
Das alles erhebt in keiner Weise den Anspruch auf „Richtigkeit“, auf „korrekter materialistischer“ Herangehensweise – sondern ist geprägt von meiner eigenen Geschichte und meiner eigenen Wahrnehmungsweise.

Meine Ent-Täuschungen drücken sich in drei Erlebnis- und Erfahrungsbereichen aus:
1. in dem Zustand der cubanischen Gesellschaft, dem Bewusstsein der dort lebenden Menschen und der Politik der PCC
2. in dem Verständnis der DKP-Solidaritätsarbeit und dem Verhalten der Brigadeleitung
3. in meinen persönlichen Erlebnissen mit „Freundschaften“ und Beziehungen zu cubanischen Menschen


Vorab: Die cubanische Gesellschaft ist eines der fortschrittlichsten Dritte-Welt-Länder!

Nach der Sonderperiode (1990 drehte die GUS den Tropf mit täglich 56 Mill. DM, an dem Cuba hing, ab) befindet sich Cuba nun in der Periode des ideologischen Kampfes, des „Kampfes um die Ideen“.
Im Land gibt es 13 Jahre kostenlose Schulbildung (Abitur-Abschluss nach polytechnischer Ausbildung) und dann nocheinmal (wenn eine Empfehlung vorliegt) 5 Jahre kostenloses Studium. Die bedeutsame, ebenfalls kostenlose Gesundheitsversorgung mit dem breitgefächerten System der Familienarztpraxen ist beispielhaft. Dazu eine für einen symbolischen Preis sichergestellte Lebensmittel-Grundversorgung (Zuteilung) und mietfreies Wohnen (für Strom, Wasser und Reparaturen muss gezahlt werden). Nachdem Russland auch den Öl-Hahn zugedreht hatte, ist es in kürzester Zeit gelungen, aus den CubanerInnen ein RadfahrerInnen-Volk zu machen. Außerdem läuft seit einigen Jahren die Kampagne für Gemüsegärten (Zulassung der privaten Bauernmärkte) gegen die traditionell „überzuckerte“ Ernährung. Aktuell wird eine Kampagne zur Leistungssteigerung durch effizienteres Arbeiten durchgeführt.

Der amerikanische Dollar führt zu Widersprüchen und wird die cubanische Gesellschaft zersetzen

Um in erster Linie das Erdöl, aber auch andere Rohstoffe und Güter zu finanzieren, benötigt dieses Land massenhaft Devisen. Haupteinnahmequellen sind exportierte Produkte (wie Zitrusfrüchte, Nickel, Zuckerrohr, Rum, Fisch), die einerseits infrastrukturelle Probleme mit sich bringen, aber in der Regel auch den Menschen des eigenen Landes vorenthalten bleiben.
Dann wurde der Tourismus als Devisen-Einnahmequelle entdeckt.
Hieran knüpfen sich eine Reihe von Problemfelder. In den Touristengebieten wachsen die Bettenburgen – für dieses Jahr wurde mit einer Steigerung von 1, 7 Mio auf 2, 2 Mio Touris gerechnet worden. Das Touri-Gebiet Varadero (rund 17 km von uns entfernt) reicht nach den Verantwortlichen nicht mehr aus. Das Gebiet soll jetzt laut PCC auf die benachbarten Städte Matanzas und Càrdenas ausgedehnt werden. Aber seit dem 11. September letzten Jahres werden wohl selbst die 1, 7 Mio noch nicht einmal erreicht werden. Wir erlebten in unserer Zeit viele leere Strände und Hotels. Aber die Bauvorhaben gehen weiter. Keiner der Verantwortlichen sieht das Problem, dass der Tourismus, um die sich schnell verändernden Bedürfnisse zu befriedigen, immer nach Veränderung, nach „neuen Events“ schreit – sonst bleiben die Touris weg. Das kostet aber weiteres Geld.
In Havanna (und auch in anderen Städten mit Touri-Attraktionen wie Santa Clara) werden Unsummen für die Renovierung von ganzen Straßenzügen mit den Bauten aus der Kolonialzeit aufgewendet, um Städtereisende anzuziehen. Das Geld fehlt aber dann für die Bevölkerung und die Häuser der Nebenstraßen verfallen zunehmend.
Ebenfalls werden inzwischen weltweit die Reichen für Devisen medizinisch in Havannas Spezialkliniken behandelt. Für 150 Mio DM müssen jährlich Medikamente auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Wie viel davon in diesen Spezialkliniken wieder verbraucht werden, ist nicht bekannt.

Um diesen verschiedenartigen Tourismus scharrt sich ein Speckgürtel von Dollarhungrigen CubanerInnen. Schiebereien, Schwarzgeschäfte und Prostitution sind an der Tagesordnung. Ein völlig neuer Markt der illegalen Zigarrengeschäfte in den Hinterhöfen Havannas ist entstanden. Dem ständigen Gezische „tabacco“ entkommt kein Tourist. Genauso wenig dem „restaurante“ oder „comida“, denn erst ab 5 Tische benötigt man eine Lizenz für einen Restaurationsbetrieb. So wird schnell ein Wohnzimmer ausgeräumt und dort für Dollars bedient. Mit dem Raunen „cama“ (Bett) wird ein Zimmer für 25-35 Dollar pro Nacht angeboten, obwohl private Übernachtungen offiziell verboten sind. Am häufigsten wird der Tourist wegen der „chicas“ (Mädchen) angesprochen. Das Gezische macht dem Touristen klar, dass es sich hier nicht um erlaubte und eigentlich vom Staat verbotene Geschäfte handelt.
Zunehmend entziehen sich mehr und mehr CubanerInnen den Produktionsprozessen und versuchen im Speckgürtel Tourismus ihr Glück. In Cárdenas wimmelte es tagsüber von Männern in den Straßen. Erst auf intensives Nachfragen wurde mir von der PCC nach Ausreden, das wären alles Schichtarbeiter, erklärt, dass in Cárdenas rund 8% arbeitslos wären (Landesdurchschnitt 4%), weil sie zum Tourismus drängen und das wäre ein Problem. Der Durchschnittsverdienst liegt bei 220 – 250 Peso (= 10 Dollar), aber das gerade macht das Tagestrinkgeld (! ) eines Taxifahrers oder Kellners in den Touristengebieten aus. So gehen einige Betriebe des Touristenbereichs dazu über, Teile des Lohnes in Dollar zu bezahlen.

Viele Konsumgüter wie Kleidung und Elektroartikel gibt es nur noch in Dollarläden und zu mit Peso-Verdienst nicht erschwinglichen Preisen. Hier wurde eine weitere „Einnahmequelle“ für die dort Beschäftigten für mich deutlich. Ein Jungkommunist machte mich darauf aufmerksam, in diesen Läden immer eine Rechnung oder einen Bon zu verlangen. Und schon „ermäßigte“ sich die Zahlung z.T. um mehrere Dollar. Auch „fielen“ häufig die elektronischen Kassen aus und die VerkäuferInnen fragten uns, ob wir auch ohne Bon kaufen wollten. Hier wird am Staat vorbei sich privat Dollar an die Seite geschafft. Mir ist nämlich vor der Bank aufgefallen, dass mir illegale Geldschieber 25 Peso für einen Dollar anboten, ich in der Bank offiziell aber 26 Peso dafür bekam. Dem wollte ich auf den Grund gehen und beobachtete das Treiben. Ab und zu tauchten dann die Frauen aus den Dollarläden auf (erkennbar in einheitlicher Arbeitskleidung – netten Kostümen) und tauschten die „an die Seite geschafften“ Dollars hier gegen Pesos. In der Bank wäre das aufgefallen. Dann kamen regelmäßig Droschken vorbei, die in Windeseile Packen von Geldscheinen zugesteckt bekamen. Und das alles unter den Augen der anwesenden Polizisten...und das von einem Personal in den Dollarläden, das nach Aussagen der PCC von ihnen selbst ausgesucht wird.

Ein weiteres Dollarelement sind die geflüchteten Verwandten in Florida / Amerika. Sie schicken Dollars oder auch Konsumgüter an ihre Familien und tragen damit zur weiteren Zersetzung bei.

Entsprechend ist die Spaltung in der Gesellschaft. Menschen die Zugang zum Dollar haben erkennt man an der amerikanische Art der Kleidung, besonders bei Jugendlichen in adidas, nike oder anderen Modemarken mit Kopftüchern aus der US-Flagge. Dagegen Menschen, die sich den internationalen Kleiderspenden bedienen. Männer und Frauen mit Goldkettchen behangen. Alte, klapprige, mühsam zusammengeflickte Autos (wer so eines hat ist schon privilegiert) aller Marken und auch schon Mercedes-Limousinen mit getönten Scheiben, alte einfache sowjetische Fahrräder oder DDR-Marken „Diamant“ neben modernsten Mountainbikes, alte Motorräder mit Beiwagen neben superschnellen Hondas drücken diese Zerrissenheit weiter aus.

Ich hatte den Eindruck, dass die Hauptbeschäftigung der Menschen die Jagd nach Dollar-Einnahmequellen zur „Verbesserung“ ihrer persönlichen Lebenssituation war.

Die PCC verhält sich hilflos und bürokratisch

Die Probleme werden zwar erkannt und auch eingestanden, aber bürokratisch gelöst. Statt eine ideologische Kampagne unter Einbeziehung der Menschen zu führen, werden staatliche Programme der Sozialarbeit aufgelegt. Diese sollen die Menschen, die sich aus ihrem Produktionsprozess verabschiedet haben und die Jagd auf den Dollar machen wieder zurückbringen. Die „weggerannten“ Jugendlichen selbst sollen zu Sozialarbeitern ausgebildet werden. Dazu passt auch die Kampagne, für jeden Haushalt einen Fernseher. Mit dieser auf weitere Individualisierung und Vereinzelung angelegten Aktion (wo bleiben eigentlich die öffentlichen Kulturräume? ) soll auf die „schädliche“ Einwirkung durch die amerikanischen Medien ein „richtiger“ ideologischer Erziehungsprozess entgegengesetzt werden. Hier wird wiedereinmal zwar etwas für die Menschen – aber wiedereinmal ohne sie gemacht. Denn es ist natürlich auch schwierig für die PCC: einerseits sind sie gezwungen, um zu Überleben den Dollar ins Land zu holen, andererseits entziehen sie sich durch die dadurch entstehenden Widersprüche selbst den Boden unter den Füssen. Es scheint eine Illusion zu sein, diese Widersprüche auf Dauer „bändigen“ zu können, dazu ist die diesem Prozess innewohnende Sprengkraft zu groß.

Die offizielle Version der PCC für diese Situation ist immer wieder das Embargo. Wenn das fallen würde, würde es dem Land besser gehen. Der Gipfel war die Forderung eines führenden PCC-Sekretärs nach Krediten aus dem IWF. So naiv kann doch kein sonst so politisch interessierter und aufgeklärter Genosse sein, um nicht die daraus folgende Drangsalierung durch den IWF zu erkennen.
An der Beibehaltung des Embargos haben sowohl Kreise in den US wie auch in Cuba Interesse. Auf beiden Seiten wird – wenn auch aus unterschiedlichen Positionen – hier ein Feindbild aufrecht erhalten, an dem man sich abarbeiten kann. Für die PCC kann dadurch der Patriotismus in der Bevölkerung hochgehalten werden.
Sollte das Embargo wirklich fallen – das aus us-amerikanische Herrschaftssicht eigentlich kontraproduktiv ist – hier würde ein ungeheurer Markt direkt vor der Haustür entstehen (die US-Telefongesellschaften stehen schon mit ihrem Handy-Geschäft in den Startlöchern) und die cubanische Gesellschaft würde innerhalb kurzer Zeit – den Werten der kapitalistischen Gesellschaft nachjagend - zerfließen.

Das historische Projekt des realen Sozialismus ist gescheitert – auch in Cuba

Die ersten, die Cuba beim Aufbau des Sozialismus geholfen haben, waren die SU und die DDR. Entsprechend deren Verständnis hat sich dann auch die Partei, der Staat und die Gesellschaft in Cuba entwickelt. Der Bürokratismus und die Nichteinbeziehung der Menschen zur Lösung ihrer Probleme ist dafür typisch und hat sich tief in diese Gesellschaft gefressen.
Überall sind Listen über Listen vorherrschend. Als wir die Spenden für den Kindergarten in Càrdenas überbrachten, mussten wir das auch noch für die Regionalverwaltung quittieren, da sich der Bestand des Kindergartens nun erhöht hatte. Ähnlich erging es uns bei der Übergabe von Medikamentenkoffern bei der Polyklinik. Selbst für die Ausgabe des von uns für das Abschlussfest selbst finanzierten Bieres wollte unser cubanischer Magaziner von der Baustelle eine Strichliste führen. Auch die Einnahme unseres Mittagessens nahe der Baustelle wurde in einer Strichliste täglich abgehakt.
Die wohl ehemals bedeutenden Stadtteilorganisationen sind zur Untätigkeit verkümmert. In den überall noch vorhandenen Büros des Komitees zur Verteidigung der Revolution sitzen gelangweilt an leeren Schreibtischen Menschen, die eigentlich nur morgens die Büros aufschließen, die cubanische Fahne heraushängen und abends wieder zuschließen.
Die PCC verschanzt sich in Havanna in einem vom Baustil überdimensionierten, monumentalen Gebäude, nimmt von erhöhten Positionen die Mai-Parade der Menschen ab, lässt sich mit sogenannten Winkelementen bejubeln. Dieser Kult ist eindeutig sowjetischer Prägung. Von den sehr konkreten Erlebnissen während unserer Zeit und die typische Ausnutzung der gesellschaftlichen Stellung für persönliche Vorteile einmal ganz abgesehen. Viele BrigadistInnen, die auch die Verhältnisse in der SU und der DDR hautnah erlebt haben, erkannten hier vieles wieder.
Die Revolution, die für die Menschen ja neben einer Besserstellung ihrer materiellen Situation auch eine Aufbruchstimmung zu neuen Ufern hervorbringen sollte – ist hier unabhängig von den äußeren Bedingungen und der Insellage durch die Einflussnahme der SU und die dadurch geschaffenen Abhängigkeiten erstickt worden.
Vorwärtszeigende Elemente, wie Betreiben einer Finka mit Biogas, Müllrecycling, Essen auf Räder für alte Menschen und Kurse für die Haltbarmachung von Essen (Einlegen und Einwecken) haben wir nur bei einer kirchlichen Institution erleben können.

Es gibt zwar den Ausspruch von Berthold Brecht: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“ – aber schon bei der Beschaffung und der Art des „Fressens“ fließen Werte ein und können und müssen Menschen mitreden und mitentscheiden.

Mein Verständnis von internationaler Solidarität unterscheidet sich von der DKP und der PCC

Die DKP hat mit der PCC aus Matanzas einen Vertrag abgeschlossen, der die Bedingungen der Zusammenarbeit regelt. Übersetzt heißt das, die DKP finanziert eine Teil des Projekts, besorgt Material und Menschen die dort Arbeiten und die PCC schafft die dortigen Rahmenbedingungen und hat letztendlich das Sagen.

Wie das sich dann konkret erleben ließ, haben wir erfahren.
Der Kontakt zu der cubanischen Brigade beschränkte sich auf die Arbeitszeit (sie wohnten im 80 km entfernten Colon – erst später am 1.Mai wurde mir klar, dass es auch eine Baubrigade in Càrdenas gab), das Erleben von konkreten Lebensverhältnissen wurde uns nicht ermöglicht (das mussten wir selbst in die Hand nehmen). Ebenso das Leben in der casa visita mitten im bewachten Hafengebiet war weit entfernt von der Stadt und den dort lebenden Menschen.
Auf der Baustelle ging vieles Durcheinander, es gab Fehlplanungen, große Materialverschwendung und Vergeudung von Arbeitskraft, Doppelarbeit, keine Verständigung und regelmäßiger Austausch mit den cubanischen Arbeitern darüber war nicht vorgesehen. Dazu keine Vorbereitung der cubanischen BrigadistInnen auf unsere Situation, wer wir sind, wie wir zu dem Projekt kommen und warum wir das selbst finanzieren (ist natürlich bei dem politischen Bewusstseinsstand aufgrund des gesellschaftlichen Hintergrunds auch nicht erklärbar, dass wir 220 Monatslöhne für Flug und Verpflegung aufbringen, um dort umsonst zu arbeiten).
Weder die Brigadeleitung noch die PCC hatte ein Interesse an einer Änderung der Situation. Bei unserer Brigadeleitung – die leider nicht gewählt wurde sondern vom PV der DKP bestimmt – kam ein stures, bürokratisches Herangehen dazu. Eigeninitiativen wurden mit fadenscheinigen Begründungen und z.T. persönlichen Diffamierungen niedergemacht. Letztendlich hat uns dann die PCC zweimal (beim selbstorganisierten Besuch in Havanna und beim Tragen einer schwarz-roten Fahne durch einen jungen Anarchisten unserer Brigade) grünes Licht gegeben und die Brigadeleitung im Regen stehen lassen. Dazu kamen noch spießbürgerliche und z.T. sexistische Verhaltensweisen, die eine Leitung gerade bei fast der Hälfte NichtmitgliederInnen unserer Brigade in keiner Weise als fortschrittliche Kommunisten auszeichneten.
Die DKP stellt dieses Projekt aber in ihren Publikationen und in der Öffentlichkeit nur in schillernden Farben dar. Es dient letztendlich als Nachweis ihrer internationalen Aktivitäten und zur Bindung von Mitgliederaktivitäten durch Spendensammlungen. Kritische Anmerkungen gibt es nicht. Gleichzeitig wird damit hier ein träumerisches und nicht den Realitäten entsprechendes Sozialismusbild vermittelt.

Internationale Solidarität kann sich nur in konkreten Projekten unter Berücksichtigung der jeweiligen kulturellen Bedingungen entwickeln. Dabei sollte das gegenseitige Kennenlernen, das gemeinsame Arbeiten und Leben und das gemeinsame Voneinanderlernen ein Grundprinzip sein. Nur so ist auch Solidarität erleb- und erfahrbar.

4 BrigadistInnen haben diese Kritik in einem Brief an den PV der DKP offen gelegt. Nun ist eine geraume Zeit vorbei und uns liegt noch keine Reaktion vor. Alte DKP-GenossInnen, die ich meine Erfahrungen und Kritik
mitteilte, sagten mir, das wäre nichts Neues und schon von früheren Projekten bekannt. In Cárdenas war es nun bereits das 4. Solidaritätsprojekt – und nichts daraus gelernt!

Der Umgang mit meinen persönlichen Gefühlen

In den ganzen 6 Wochen hatte ich große Schwierigkeiten herauszufinden, wer es eigentlich mit dem Wort „amigo“ – Freund wirklich ehrlich meint. Oder wer eigentlich nur den Blick auf mein Dollarportemonnaie hatte und das Wort eher in dem Zusammenhang meinte: he Freundchen, ich werde dir gleich die Dollars aus der Tasche ziehen. Es gab nur 2-3 Menschen, von denen ich sicher war, die wollten nichts Materielles von mir, machten mich nicht wegen irgendwelcher Dinge an, die ich mitbringen sollte. Selbst mein Klempner-Kollege Luis war da mit allen Wassern gewaschen.
Überall wurde ich erst in unverbindliche Gespräche verwickelt, die ein Interesse an meiner Person und meinen Lebensverhältnissen in Deutschland vortäuschten, um dann doch irgendwann zum Geschäftlichen, zu irgendwelchen Besorgungen zu kommen.
Am härtesten hat mich die Konfrontation mit der (versteckten) Prostitution getroffen. Die direkte Ansprache der „chicas“ und von Männern, die eine und bis zu vier Frauen (entweder zur Auswahl oder alle zusammen) anboten war zwar schlimm, konnte ich aber häufig mit einer deutlichen Handbewegung und klaren Worten abwimmeln. Dabei halfen bezeichnenderweise besonders gut die Worte: bin Brigadist oder Kommunist. Aber das sich langsam entwickelnde Interesse und dann spätestens nach einer halben Stunde das Zuschlagen (Heiratsantrag) war etwas total Neues und letztendlich aber auch Abstoßendes.
Cuba ist und bleibt eine Macho-Gesellschaft. Zwar sind 60% der Frauen berufstätig, aber in den Führungsgremien wie Partei- und Gewerkschaftsleitung oder bei den HeldInnen der Arbeit sind sie in der Regel nur zu 20% vertreten. Sie können in der Gesellschaft vieles erreichen, müssen aber im Haushalt kuschen und sich dem Mann unterordnen. Die Frau, die das nicht will, bleibt in der Regel ohne Mann.
Sieht man von den vielen versteckten Spielarten der Prostitution ab ist allerdings der Sexismus im öffentlichen Leben genauso wie Werbung nicht vorhanden. Das war ein positives Erlebnis, was mir allerdings erst bei der Konfrontation mit „unserer Zivilisation“ im Flugzeug wieder ins Bewusstsein kam. In der cubanischen Gesellschaft hatte ich das gar nicht vermisst.
In der Brigade selbst gehörte ich zwar altersmäßig zu den älteren GenossInnen (sie waren um die 60 Jahre alt), praktisch am Leben teilgenommen und viel gemeinsam unternommen habe ich mit den 5 BrigadistInnen, die zwischen 20 und 35 Jahren alt waren. Daher hing ich gefühlsmäßig ziemlich zwischen den Stühlen und letztendlich in der Luft.

Die ersten Schlussfolgerungen und persönliche Konsequenzen

Das historische Projekt 70 Jahre realer Sozialismus ist gescheitert. Die Suche und die Benennung der Ursachen wird dringende Aufgabe von KommunistInnen sein.
Für mich liegt eine Erkenntnis darin – die schon längere Zeit herangereift ist und nun in den Cuba-Erfahrungen seinen Abschluss fand -, eine Revolution oder Umwälzung von gesellschaftlichen Strukturen kann sich nur erfolgreich weiterentwickeln, wenn dadurch Raum für die Entwicklung von Selbstverantwortung und entsprechend von Selbstbewusstsein geschaffen wird. Nur wer sich selbst etwas erkämpft hat und dafür auch die Verantwortung übernimmt, kann das Erreichte weiterentwickeln und verteidigen.
Es kann nicht sein, dass sich Menschen (KommunistInnen) über andere erheben, von sich behaupten „die Wahrheit“ zu wissen und damit entscheiden, was für die anderen gut oder schlecht ist. Es kann nicht sein, das KommunistInnen Menschen zu ihrem Glück zwingen wollen, zur Not mit Gewalt oder sie einsperren (Mauerbau) oder dann letztendlich ohne und gegen sie entscheiden. Der Sozialismus ist eine freiwillige Sache der Menschen. Wenn sie dazu nicht bereit sind, nach einer Zeit die alten Bedingungen doch wieder haben wollen - ist eben die Zeit noch nicht reif und wir müssen uns in Geduld üben.
In dem Prozess des sogenannten Überlebens werden schnell humanistische Ideale der Revolution über Bord geworfen. Der kirgisische Schriftsteller und frühere Vorsitzende des sowjetischen Schriftstellerverbandes schrieb in der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte: „Das totalitäre Regime, in dem wir aufwuchsen und dem wir uns widerspruchslos unterordneten, sah nicht vor, über die gesellschaftlichen Probleme von einer individuellen Position her nachzudenken, jedenfalls nicht offen und öffentlich. Im Gegenteil wurde das stahlharte Postulat der totalen Unterordnung des Menschen unter das Diktat des Staates und der Macht von den meisten als normale Ordnung akzeptiert, ja noch viel mehr – als revolutionäre Errungenschaft gepriesen. Das Postulat lautete: Kein Mensch ist unersetzbar. Darauf beruhte unsere Tragödie, die nicht hinterfragt wurde. Die Persönlichkeit hatte einwandfrei zu funktionieren und diente lediglich als Mittel zur Durchsetzung ideologischer und politischer Ziele. Alles übrige – geistige und sittliche Traditionen, Moral und sogar verwandtschaftliche Beziehungen wurden verworfen, falls es nicht den sogenannten Klasseninteressen entsprach; verworfen als Überbleibsel der Vergangenheit und unerlaubter Allüren des bürgerlichen Individualismus.
(...) Unter solchen Bedingungen bezeichnete sich die herrschende Partei, die über eine unbefristete Monopolmacht verfügte, als Verstand, Gewissen und Ehre der Epoche, zugleich war sie die strafende Macht.
Dazu passt auch der Umgang mit Andersdenkenden. Am 2 Mai ist der cubanische Schriftsteller Jesús Diaz in Spanien gestorben. Erst als der Schriftsteller Cubas gefeiert und dann nach kritischen Äußerungen 1992 über die Entwicklung des Landes und die Abhängigkeit von der SU vom Kultusminister Cubas Armando Hart gegeißelt. Dieser bedauert, dass „die Gesetze für deine Niedertracht keine Todesstrafe vorsehen. (...) Du hast dich für ein Linsengericht verkauft, Jesús. Du müsstest eigentlich Judas heißen.“ Ich kenne Diaz zwar nicht (habe mir aber jetzt Bücher von ihm bestellt), aber selbst wenn er einen kapitalistischen Standpunkt eingenommen hätte, dürfte sich niemals ein führender Kommunist zu so einer Schwachsinnsaussage herablassen.
Darin drückt sich eine elitäre Machtausübung losgelöst von den Menschen und menschlichen Werten, für die ja alle einmal angetreten sind, aus.
Dazu werfe ich auch die Frage auf, warum die Sowjets nur eine so kurze Geschichte hatten. Wenn also der Ansatz und das Politikverständnis von Kommunistischen Parteien letztendlich an den Menschen vorbeigeht (dabei wird auch die Frage aufgeworfen, ob der Parteicharakter als bürgerliches Relikt überhaupt emanzipatorische Entwicklung zulässt oder immer restriktive Herrschaftsausübung sein muss), dann muss ich für mich auch darunter einen Schlussstrich ziehen.

Das bedeutet, das ich mich mit KommunistInnen, die nicht bereit sind, diese Fragen aufzunehmen und sich zumindest damit auseinander zu setzen, auch nicht mehr praktisch zusammentun kann.
Das bedeutet, dass ich auch hier und heute nicht mehr die Haltung einnehme werde, zu wissen und durchzusetzen, was für andere gut und schlecht ist. Die Menschen müssen selbst unter einem so großen Leidensdruck stehen, dass sie zum eigenständigen Handeln kommen. Erst dann sehe ich meine Aufgabe, helfend mit meinen Erfahrungen organisierend einzugreifen. Dabei muss auch eine persönliche Betroffenheit immer vorhanden sein. Die Rödelei auf verschiedensten Gebieten, Leute wachzurütteln, Arbeitern und Gewerkschaftern hinterherzulaufen, die nur ihre betrieblichen Bedingungen bis zum Verfall ihrer Aktien verteidigen wollen, hat für mich keine Perspektive mehr.
Politische Organisationen, die sich immer noch in Organisationsformen und politischen Inhalten an den Mustern der gescheiterten sowjetischen Revolution orientieren, werde ich meiden und die Zusammenarbeit aufkündigen. Sie sind letztendlich nur noch Relikte der Vergangenheit und dienen zur Aufrechterhaltung von Sozialstrukturen. Einzelne, offene und die Bereitschaft zur Veränderung mitbringende Menschen sind davon ausgenommen.
Da ich für mich zu der Erkenntnis gekommen bin, dass nur wer seine Einsichten auch umsetzt, ehrlich und authentisch sein kann, habe ich mich bereits aus verschiedenen Zusammenhängen zurückgezogen.
 
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