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Magazin Prostituiert und ruiniert

Tron

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Tausende Frauen, die auf den Strich gehen, sind heillos überschuldet. Die Zuhälter machen sie alltagsunfähig

Viele werden von den Luden dazu gedrängt, Läden zu eröffnen, in denen diese ihr Geld waschen können.

Meist ist der einzige Ausweg die Privatinsolvenz. Jeder Gläubiger kann dann erfahren, auf welche Art sie ihr Geld verdient haben

Sonja K. (Name geändert) erzählt aus ihrem Leben so distanziert, als ginge es dabei um eine entfernte Bekannte. "Ich bin aktuell noch in Behandlung wegen meiner Depressionen", sagt sie ruhig mit diesem typischen, leicht nasalen Hamburger Einschlag in der Stimme. "Mit Angstanfällen hab ich viel zu tun, eine Zeit lang war ich esssüchtig. Einen Selbstmordversuch habe ich auch hinter mir."

Aber keine Sorge, sie könne in der Vergangenheit wühlen, ohne gleich wieder in die Depression zurückzufallen. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die sie aus ihrer Beratungsstelle "Kaffeeklappe" kenne, und die das Gleiche erlebt hätten wie sie. Sonja K.s Bedingung war, dass das Gespräch im Büro der Hamburger Beratungsstelle stattfinden müsse. Hier fühlt sie sich geschützt.

Sonja ist 36. Sieben Jahre lang hat sie ihren Körper für Sex verkauft. Trotzdem war sie danach so hoch verschuldet, dass sie noch heute, weitere sieben Jahre später, in Privatinsolvenz lebt. Sie geht putzen und bekommt Hartz IV. Die Ämter überwachen ihre Einnahmen und Ausgaben genau, teilen ihr nur so viel Geld zu, dass sie über die Runden kommt.

Es gibt Tausende Frauen in Deutschland, denen es so geht wie Sonja: prostituiert und hoch verschuldet. Fast jede Schuldnerberatung hat Prostituierte als Kundinnen. Viele leben in Privatinsolvenz und haben den Ausstieg geschafft. Andere gehen noch immer anschaffen, um ihre Schulden abzahlen zu können.

Sonjas Geschichte beginnt vor mehr als zehn Jahren. Sie ist Anfang 20, hat einen Job als Zahnarzthelferin. Eigentlich könnte ihr Leben in normalen Bahnen weiterlaufen: netter Freund, Hochzeit? Doch dann kommt dieser Abend, an dem ihr Leben den entscheidenden Abzweig nimmt. Sie ist mit ihrer Freundin in einer Disco feiern. Dort sieht sie Jens und verknallt sich. "Breitschultrig, tätowiert, ein richtiger Kerl", sagt sie. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man meinen, in ihrer Stimme schwänge noch immer Schwärmerei mit. "Wir sind gleich in der Kiste gelandet", sagt sie.

Sonja und Jens werden ein Paar. "Er sagte: Warum gehst du jeden Tag in die Zahnarztpraxis? Du könntest richtig Kohle machen. Gehst alle paar Wochen mit einem Typen ins Bett, alles Freunde von mir, und machst dir ein schönes Leben." Im Milieu heißt dieses Anwerben, bei dem der Zuhälter der Frau den verliebten Freund vorspielt, "poussieren".

Warum fiel sie darauf rein? Im Gegensatz zu den 200 000 ausländischen Prostituieren, die in Deutschland ihren Körper verkaufen, um zu Hause ihre Familie zu unterstützen, hatte Sonja K. Alternativen.

"Ich hab mir vorgestellt, das wäre so eine Geschichte wie bei ,Pretty Woman'", sagt sie. Vielleicht hat sie damals, mit Anfang 20, tatsächlich so gedacht. Und wahrscheinlich ist die Scham über die eigene Naivität auch ein Grund, warum sie auch heute noch so besorgt darum ist, ihre Anonymität zu wahren.

So schwer diese Karriere für Außenstehende zu verstehen ist, Fakt ist: 400 000 Frauen verdienen in Deutschland ihren Lebensunterhalt als Prostituierte, und viele von ihnen lassen sich zunächst freiwillig darauf ein.
Jens machte Sonja systematisch alltagsuntauglich. Ein bundesweit tausendfach praktiziertes Geschäftsmodell. "Er hat meine Post geöffnet, die Rechnungen bezahlt und sich um alles gekümmert." Er sagte ihr, sie brauche sich nicht belasten, solle lieber ihre Haare pflegen und zur Sonnenbank gehen.

Sie fand das gut. Gab ihm die Geheimnummer für ihr Konto und alle Vollmachten. Er bezahlte ihre Krankenversicherung - offiziell war sie dort als Hausfrau gemeldet und über den Lebensgefährten mitversichert. Er schloss auf ihren Namen einen Handyvertrag ab, bezahlte ihr neue Klamotten und Kosmetika. Ziemlich schnell hatte sie keinen Überblick mehr, was sie verdiente. Jens kaufte sich einen Porsche. "Mit fetten Felgen", sagt sie. Klischee pur.

Natürlich dauerte es nicht lange, bis das Leben mit Jens sich als wenig glamourös entpuppte. "Irgendwann war's Alltag", sagt sie. "Ich stand mal an der Herbertstraße, mal an der Davidstraße. Ich hab auch am Autostrich gearbeitet." Dass Jens sie brutal geschlagen habe, wenn sie etwas "falsch gemacht" hätte, erwähnt sie in einem Halbsatz.

Sonja wollte weg, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie ihr Leben auf die Reihe bekommen sollte. "Ich kenne viele alternde Frauen, die vegetieren seit 15 Jahren vor sich hin, können aber nicht aussteigen, weil sie nicht wissen, wie das normale Leben funktioniert."

Sonja schaffte den Ausstieg. Wie genau, mag sie nicht erzählen. Sonja dachte, sie wäre jetzt frei.

Ein paar Wochen später bekam sie einen Brief von der Krankenversicherung. Jens hatte aufgehört, ihre Krankenkassenbeiträge zu zahlen. "Die Rückstände belaufen sich auf 182 Euro", stand da. Sonja wollte das Geld überweisen. Sie ging zur Bank, wusste aber nicht, wie man einen Überweisungsträger ausfüllt. Was ist eine Bankleitzahl? Außerdem: Auf dem Konto waren gerade mal ein paar Euro. Und die Lebensversicherung, die ihre Eltern vor Jahren für Sonja angelegt hatten, war von Jens schon vor Jahren aufgelöst worden. Er hatte ihre Unterschrift gefälscht.

Sonja hatte nun keine regelmäßigen Einkünfte mehr. Sie lieh sich Geld mal hier, mal da. Ging immer noch ins Nagelstudio, zur Sonnenbank, abends in die Cocktailbars. Telefonierte stundenlang auf dem Handy und war überrascht, wenn dann die Rechnungen kamen.

Irgendwann war das Konto so weit im Minus, dass sie keine ihrer Rechnungen mehr zahlen konnte. Also nahm sie ihren jahrealten Arbeitsvertrag aus der Zahnarztpraxis. Ging damit zur Bank und bekam einen Kredit über 3000 Euro. Konnte die Zinsen nicht zahlen, häufte weitere Schulden an: 800 Euro Mietrückstand, 300 Euro Handyrechnung. Und ging wieder auf den Strich, um an Geld zu kommen. Dort lernte sie einen neuen Mann kennen, einen Türsteher. Verliebte sich, übernahm für ihn eine Bürgschaft für einen Kredit über 17 000 Euro. "Das hat mir das Genick gebrochen", sagt sie. Der Kredit platzte, der Mann war weg, und Sonja stand mit den Schulden da, 25 000 Euro.

Schuldnerberater kennen noch weit drastischere Fälle, zumindest was die Höhe der Schulden angeht. "Wir haben schon Frauen bei uns gehabt, die Schuldenberge von bis zu 150 000 Euro angehäuft haben", sagt etwa Maren Leder von der Beratungsstelle Sichtbar in Kassel. Solche Summen kommen zusammen, wenn die Frauen von ihren Zuhältern dazu gedrängt werden, ganze Läden zu eröffnen, in denen die Luden dann ihr Geld waschen können: Restaurants, Bars, Nagelstudios. "Die Frauen geben nur ihre Namen, damit sie vor den Behörden verantwortlich sind. Sie haben keine Ahnung, wie man ein Geschäft führt und welche finanziellen Verantwortungen auf die zukommen."

Prostituierten, die einmal in den Schuldenstrudel geraten sind, bleibt die Privatinsolvenz oft als einziger Ausweg. Ein Schritt, der viel Mut kostet. Denn Insolvenz anmelden heißt: alles offenlegen und damit das letzte bisschen Würde verlieren, dass sich die Frauen bewahrt haben. Denn in der detaillierten Aufstellung der Schulden erfährt jeder Gläubiger, wie seine Mieterin ihren Lebensunterhalt verdient.

Sonja K. musste lernen, mit dem wenigen Geld auszukommen, das der Insolvenzanwalt ihr jeden Monat zuweist. Die Wohnung, in der sie jetzt lebt, ist bescheiden. Ein Zimmer, 33 Quadratmeter und kleiner Balkon in Hamburg-Barmbek. "Noch ein halbes Jahr, dann ist das Verfahren durch, und meine Schulden sind weg", sagt sie. Vielleicht kann sie dann doch noch da weitermachen, wo sie damals aufgehört hat.


Welt Online, 29.11.2010

 
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