In der Lugano-Bar an der Langstrasse hat sich eine zweite Sexarbeiterin mit dem Coronavirus infiziert. Weitere Frauen befinden sich unter prekärsten Bedingungen in Quarantäne.
Der Corona-Fall im Zürcher Milieu zieht weitere Kreise. Wie am Mittwoch bekanntwurde, hat sich eine zweite Sexarbeiterin der Lugano-Bar angesteckt. Die Infizierte wurde isoliert. Wo sie sich befindet, ist nicht bekannt. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich gibt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine weiteren Auskünfte.
Im Gebäude an der Langstrasse 108 befinden sich nun 47 Nigerianerinnen unter engsten Verhältnissen in Quarantäne. Sie dürfen das Gebäude bis zum 9. September nicht verlassen. Die Frauen werden vom Verein Incontro mit Lebensmitteln versorgt. Schwester Ariane ist die Mitgründerin des Vereins. Die Nonne beschreibt die Wohnverhältnisse als sehr prekär, die Frauen schliefen teilweise zu dritt in einem Bett. «Es ist schwer vorstellbar, dass mitten in der Stadt Zürich eine derartige Armut existieren kann», sagt sie.
Tatsächlich scheinen die Zustände in der Liegenschaft unhaltbar. Wie eine Prostituierte, die das Haus gut kennt, gegenüber der NZZ sagt, leben zum Teil bis zu fünf Frauen in einem der verlotterten Zimmer ohne Fernseher. Dafür müssten sie pro Woche 350 Franken bezahlen. Wenn eine der Frauen einen Kunden habe, müssten ihre Mitbewohnerinnen unten in der Bar warten. Der Betrieb laufe mehr oder weniger rund um die Uhr; an Schlaf sei nicht zu denken. Weil viele der Frauen keinen Pass hätten, seien sie den Zuständen ausgeliefert. Die Frau fragt sich, weshalb die Polizei nichts weiter unternimmt.
Klar ist: Bisher gibt es keine polizeiliche Untersuchung gegen die Eigentümer der Liegenschaft, bei denen es sich um bekannte Figuren aus dem Milieu handelt. Die Lugano-Bar ist jedoch seit langem bekannt als Kontaktbar, wo sich Prostituierte und Freier treffen. Ebenso klar ist, dass in den oberen Etagen des Gebäudes Zimmer an Sexarbeiterinnen vermietet werden.
Trotz den schwierigen Umständen sei die Stimmung im Haus seit Mittwoch wieder etwas besser, erzählt Schwester Ariane. «Die Frauen haben ein starkes Temperament und tragen Streitigkeiten offen aus. Das ist gut, denn danach ist die Sache erledigt.» Trotzdem: Die Angst unter den Betroffenen sei groß. «Sie fühlen sich gefangen.» Viele hätten mit der Polizei in anderen Ländern schlechte Erfahrungen gemacht.
Entsprechend groß sei die Unsicherheit gewesen, als Polizisten am Dienstagabend in Schutzausrüstung zur betroffenen Liegenschaft ausgerückt seien und den Frauen die Verfügung übergeben hätten, dass sie sich in Quarantäne begeben müssten. Schwester Ariane und Pfarrer Karl Wolf waren vor Ort und halfen, die Sexarbeiterinnen über das Vorgehen der Behörden zu informieren. «Die Frauen hatten Angst, dass ihnen die Pässe weggenommen werden.»
Je länger die Quarantäne andauere, desto mehr machten den Frauen auch finanzielle Nöte zu schaffen. Anschaffen können sie im Moment nicht, und Erspartes haben die wenigsten. «Viele haben Kinder in anderen Ländern und schicken ihren Familien einen Teil des Geldes, das sie hier verdienen.» Oftmals wüssten die Angehörigen nicht, dass die Frauen im Sexgewerbe arbeiteten. Immerhin: Für die Zeit der Quarantäne soll der Vermieter den Frauen die Miete erlassen haben.
Wie es für die Frauen in den nächsten Tagen weitergeht, ist unklar. Die Stadt Zürich sucht derzeit nach Unterbringungsmöglichkeiten für die Frauen. «Sie in eine Militärunterkunft zu stecken, wäre vollkommen verkehrt», sagt Ariane. Sie appelliert an die Behörden: «Die Situation zeigt, dass es dringend ein Konzept braucht, welches für Frauen ohne Krankenversicherung einen niederschwelligen Zugang zu Tests und Krankenversorgung sicherstellt.»