Das Nachfragen sexueller Dienstleistungen ist in Schweden seit 1999 illegal. Die Prostitution ist aber nicht verschwunden, sondern hat sich neue Wege gesucht. Diese versucht die Politik zu durchkreuzen, auch mit der neuen Strafnorm der «fahrlässigen Vergewaltigung».
Wenn die schwedische Polizei nach Dorschen Ausschau hält, dann sitzen die Beamten nicht mit Angelruten in einem Boot auf dem Meer. «Dorsch» ist vielmehr der Slang-Ausdruck für Freier; Männer mithin, die gegen Bezahlung sexuelle Dienstleistungen nachfragen. Das ist in Schweden seit zwanzig Jahren gesetzwidrig. Die Straßenprostitution ist durch die Einführung dieser Norm zwar zum Teil verschwunden, nicht aber das Phänomen der käuflichen Liebe an sich. Es hat sich lediglich neue Wege gesucht, zunehmend unterstützt durch die Möglichkeiten des Internets. Es sind deshalb diese neuen Felder des Prostitutionsangebots, die die Ordnungskräfte jetzt vermehrt in den Griff zu bekommen suchen.
Bei der «Operation Dorsch», einer Serie von Razzien im Stockholmer Rotlichtmilieu, sind der Polizei vor wenigen Wochen einige dicke Fische ins Netz gegangen. Bei einem von ihnen handelt es sich um einen bekannten früheren Profisportler, der sich als TV-Persönlichkeit und Unternehmer im Rampenlicht hält. Dies verschaffte der großangelegten Aktion bedeutende Publizität. Wie der Einsatzleiter Anders Olofsson im Fernsehen sagte, stammten die 28 Freier, die man in dieser Phase der Operation erwischte, indes nicht bloß aus der Prominenz, sondern aus allen Altersgruppen und Schichten der Gesellschaft.
Der Fall des TV-Prominenten ist insofern bemerkenswert, als er, von Medien zur Rede gestellt, nicht nur erklärte, sich für sein Benehmen zu schämen. Er mutmaßte auch, die Frau, bei der er Sex gekauft habe, habe diesen «vermutlich nicht freiwillig angeboten», sondern sei von jemandem dazu gezwungen worden. Er könnte deshalb nicht nur für den Straftatbestand des Sexkaufs verurteilt werden, für den ihm eine Busse (abhängig vom Einkommen) oder Gefängnis bis zu einem Jahr droht, sondern auch für «fahrlässige Vergewaltigung».
Dieser Straftatbestand ist relativ neu im schwedischen Recht. Vor zwei Jahren trat eine Gesetzesänderung in Kraft, wonach sexuelle Handlungen nur dann zulässig sind, wenn sie von beiden Seiten explizit auf Freiwilligkeit beruhen. Im Fall einer zur Prostitution gezwungenen Person wäre das definitionsgemäss nicht so. Ein Urteil, das dieser Argumentation folgt, wurde erstmals diesen April in Uppsala gefällt.
In Schweden stehen damit die Zeichen auf eine härtere Praxis im Umgang mit Freiern. Fünf der acht im Parlament vertretenen Parteien befürworten eine Verschärfung der Strafen für Sexkauf. Demnach sollen keine Bussen mehr ausgestellt, sondern sofort Haftstrafen verhängt werden. Das wäre in der Tat eine markante Veränderung. Denn seit der Einführung des Gesetzes ist es laut Medienberichten noch fast nie zu einem Urteil mit Gefängnisstrafe gekommen.
Die Regierung möchte ferner auch schwedische Bürger, die im Ausland Prostituierte besuchen, gerichtlich zur Verantwortung ziehen können. Es handelt sich bereits um den zweiten Anlauf in diese Richtung; ein erster war vor zwei Jahren im Parlament an Bedenken einer Mehrheit gegenüber einem solchen «Export» schwedischen Rechts gescheitert.
Was schärfere Strafen betrifft, so besteht bei Polizei und unter Juristen die Befürchtung, dass ohne die Möglichkeit, in abgekürzten Verfahren Bussen auszusprechen (wie es der jetzigen Praxis entspricht), die Zahl der Verurteilungen zurückginge. Denn die Prozesse würden aufwendiger für die Justiz. Auch sei damit zu rechnen, dass Erwischte bei höheren Strafen und längeren Prozessen seltener zu einem Schuldeingeständnis bereit seien. Freier erhalten bisher in diesem Fall ein kürzeres und weniger Aufsehen erregendes Verfahren.
In jedem Fall sagt der politische Vorstoß zur Strafverschärfung etwas über das gesellschaftliche Klima. Der Kauf sexueller Dienstleistungen wird von einer deutlichen Mehrheit als Ausübung männlicher Gewalt gegen Frauen innerhalb patriarchalischer Machtstrukturen interpretiert und als Widerspruch zur schwedischen Gleichstellungspolitik. Das gesellschaftspolitische Ziel ist deshalb, Prostitution zu eliminieren, indem die Nachfrage durch Abschreckung unterdrückt wird.
Aus dem Umstand, dass Frauen in der Prostitution grundsätzlich als Opfer gesehen werden, erklärt sich auch die Asymmetrie im Gesetz, dass nur die Nachfrage sexueller Dienstleistungen strafbar ist, nicht aber deren Anbieten – man will Frauen in einer exponierten Situation das Leben nicht noch durch eine Kriminalisierung komplizieren. Sexarbeiterinnen kritisieren jedoch, dass sie dennoch stigmatisiert und in den Untergrund gedrückt würden.
Die Kriminalisierung der Nachfrage führe etwa dazu, dass sich die angenehmeren Freier zurück zögen, nur die gefährlicheren verblieben. Diesen gegenüber befänden sich die Prostituierten in einer noch schwächeren Verhandlungsposition als zuvor. Sex dürfe zwar straffrei angeboten werden, doch in der Praxis sei Prostitution wegen begleitender Strafnormen (etwa zu Kuppelei oder Beihilfe) nicht möglich, ohne in Konflikt mit dem Gesetz zu geraten. Insgesamt gehe es bei den Strafnormen zum Sexkauf um strukturelle Gewalt des Staates gegen Sexarbeiter und um ihren Ausschluss aus der Gesellschaft, heisst es in einem umfangreichen Bericht einer Sexarbeiter-Interessengruppe.
Breiter gesellschaftlicher Konsens
Teil der schwedischen Strategie zur Bekämpfung der Prostitution ist neben der Abschreckung von Freiern auch die Drohung zu ihrer Exponierung. Das funktioniert insofern gut, als in der Bevölkerung ein breiter Konsens über die Richtigkeit der schwedischen Strategie besteht. Die erwähnte TV-Persönlichkeit etwa wurde von einem Medium mit Namen genannt, weil ein «breiteres Interesse» bestehe. Ein Sturm öffentlicher Entrüstung war dem Mann damit gewiss. Dass die Realität mehr Facetten hat, als das relativ enge Narrativ der Politik vorgibt, und dass zumindest unter Fachleuten der Erfolg des asymmetrischen Modells umstritten ist, spielt in der ideologisch stark aufgeladenen Prostitutions-Diskussion eine untergeordnete Rolle.
Kritik kommt indessen von einer Seite, die für Schweden eher ungewohnt ist. Amnesty International schrieb 2016 in einem Bericht zu Norwegen (wo seit 2009 ein sehr ähnliches Gesetz in Kraft ist), dass das asymmetrische Modell in der Praxis den Sexarbeiterinnen grundsätzliche Menschenrechte verwehre, wie das Recht auf Behausung, Privatsphäre, medizinische Versorgung oder Gleichbehandlung vor der Justiz – und das, obwohl ihr «Serviceangebot» nicht illegal sei.