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Magazin Gemeinsam gegen Ausbeutung in Lengerich

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Gemeinsam gegen Ausbeutung

Frauen werden zur Prostitution gezwungen. Prälat Peter Kossen klagt das Schicksl von Arbeitsmigranten an. Auch die Verhältnisse in Lengerich.

 

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Lengerich - Sie erhalten Mini-Löhne, leben in schlimmen Unterkünften. Kinder erleben Alkohol- und Drogenmissbrauch. Frauen werden zur Prostitution gezwungen. Prälat Peter Kossen klagt das Schicksal von Arbeitsmigranten an. Auch die Verhältnisse in Lengerich.

(50) ist seit zwei Jahren leitender Pfarrer in der katholischen Pfarrgemeinde Seliger in Lengerich. Er setzt sich für eine gerechte Behandlung von Leiharbeitern aus dem ehemaligen Ostblock ein, die vor allem in der Fleischindustrie beschäftigt werden. Unser Redaktionsmitglied Günter Benning sprach mit ihm am Rand einer Veranstaltung des katholischen Bundes ND in Cloppenburg. In dieser Woche gründet er in Lengerich die „Aktion Würde und Gerechtigkeit”, die Arbeitsmigranten zu Rechtsschutz verhelfen will.

Peter Kossen: Ich war und bin konfrontiert mit Menschen und ihren Biografien, die ich im Erstkontakt nicht für möglich gehalten habe in unserem Rechtsstaat und unserer sozialen Marktwirtschaft. Nehmen wir als Beispiel: Das Schlafen im Drei-Schicht-System im gleichen Bett. Ich dachte, so etwas gibt es in unserer Zeit nicht mehr. Oder dass Menschen ständig über die Grenzen ihre körperlichen und psychischen Kräfte arbeiten müssen. Das hat mich aufgebracht und ich habe die Systemfrage gestellt.

Sie haben das erlebt in der Fleischindustrie. Sie kommen aus einer ländlichen Gegend, ihr Bruder ist Arzt im . Wie sieht das konkret aus?

Peter Kossen: Es ist so, dass in vielen Betrieben ein Großteil der Stammbelegschaft seit den 90er Jahren ersetzt wurde durch irreguläre Beschäftigung. Oft heißt das: prekäre Beschäftigung in Werks- oder Leiharbeitsverträgen. Da ist Unternehmerverantwortung verloren gegangen. Diese Leute sind ihren Arbeitgebern, die als Subunternehmer auftreten, völlig ausgeliefert. Das sieht dann so aus, dass die Leute jenseits unserer Bestimmungen arbeiten. Deutlich über die erlaubte Arbeitszeit hinaus. Wenn sie einen rumänischen Subunternehmer haben, dann stehen ihnen nicht mehr als fünf Tage Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu. Und sie haben keinen einzigen Tag regulären Urlaub im Jahr. Dadurch wird unser System ausgehöhlt. Dazu kommt häufig eine äußerst problematische Unterbringung, wo die Leute dann noch mal mit Wuchermieten für Rattenlöcher abgezockt werden.

Sie sprechen über die fleischverarbeitende Industrie. Aber auch als Pfarrer in Lengerich haben Sie mit dem Los von rumänischen und bulgarischen Leiharbeitern zu tun?

Peter Kossen: Sogar in großer Zahl. Es gibt eine ganze Reihe von ihnen, die nicht nur in Lengerich arbeiten, sondern auch zu Schlachthöfen im Münsterland transportiert werden, aber auch zu anderen Unternehmen. Es gibt Kindergartenkinder aus problematischen Wohnverhältnissen. Da leben Eltern mit ihren Kindern in Verhältnissen, wo es Alkohol- und Drogenmissbrauch gibt, aber auch Prostitution. Ich weiß, dass eine Reihe von EU-Bürgern in diese Falle geraten: Ohne eine Arbeit erhalten sie dauerhaft kein Aufenthaltsrecht bei uns. Deshalb sind sie bereit, auch in der Logistik oder anderen Bereichen äußerst problematische Arbeitsverhältnisse in Kauf zu nehmen, um einen Fuß in der Tür zu behalten.

Wir glauben ja, in Deutschland gebe es klare Regeln für Arbeits- und Urlaubszeiten und Mindestlöhne. Wird das ausgehebelt?

Peter Kossen: Das deutsche Arbeitsrecht unterstellt, dass der Arbeitnehmer sein Recht selbst geltend macht. Mit der Hilfe von Betriebsräten, Gewerkschaften oder auf dem Klageweg. Alles drei scheidet faktisch bei diesen Arbeitsmigranten aus. Sie sprechen die Sprache nicht, sie finden keinen Zugang zu einem Anwalt oder einer Rechtsberatung. Die Betriebsräte sind für sie nicht zuständig. So entsteht ein Vakuum, das von anderer Seite brutal ausgenutzt wird. Da ist Kriminalität im Spiel, das hat was mit Menschenhandel, mit konkreter Ausbeutung zu tun, auch mit Frauenhandel. Es gibt da fließende Grenzen zur Zwangsprostitution.

Auch in Lengerich?

Peter Kossen: Ja. Mir berichten Erzieherinnen: Kindergartenmütter vertrauen ihnen an, dass sie, obwohl sie Kinder haben und es sicher nicht freiwillig tun, auf den Strich gehen müssen, um ihre Familie durchzubringen.

Was kann man als Konsument eigentlich tun?

Peter Kossen: Die Gewerkschaft NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) hat ausgerechnet, dass das Kilo Fleisch im Handel etwa sechs Cent teurer würde, wenn jeder in der Produktionskette zumindest den Mindestlohn bekommen würde. Das ist verschwindend gering. Mir scheint wichtig, durch unser Einkaufsverhalten deutlich zu machen: Der Konsument nimmt nicht einfach alles, nur, weil es billig ist. Letztlich hat alles seinen Preis. Wenn wir sie nicht bezahlen, zahlt ein anderer die Rechnung. Wollen wir das billige Fleisch um jeden Preis, dann lassen wir Menschen leiden, die mit ihrer Gesundheit zahlen.

Sie sprechen von der Fleischindustrie. Viele kennen den privaten Fall von Pflegekräften aus dem Osten, die für wenig Geld 24-Stunden-Betreuung ermöglichen. Das wird selten thematisiert. Gibt es eine Schamgrenze, die uns hindert, darüber offen zu sprechen?

Peter Kossen: Sicher auch, weil man nicht weiß, wie es alternativ aussehen kann. Aber es kann kein Grund dafür sein, zu sagen, ich nehme die billigste, nämlich die Polin, weil ich es sonst nicht bezahlen kann. Wir müssen die Probleme benennen, damit die Gesellschaft klärt, was uns zum Beispiel eine gute Altenpflege wert ist. Es darf nicht nur darum gehen: Das Billigste ist das beste.

Sie gründen demnächst in Lengerich einen Verein. Was soll der tun?

Peter Kossen: Der Verein heißt „Aktion Würde und Gerechtigkeit”. Wir wollen zum Beispiel Menschen aus Rumänien und Bulgarien helfen, dass sie trotz ihrer Sprachschwierigkeiten ihre Rechte als Arbeitnehmer kennenlernen und auch geltend machen können. Da kann es um Unterstützung bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe oder einen niederschwelligen Zugang zu Juristen gehen. Wir realisieren das mit der Hilfe von Rechtsanwälten, Ehrenamtlichen und auch mit öffentlichen Mitteln.

Kann man da eintreten, egal wo man wohnt?

Peter Kossen: Wir werden dazu einladen, den Verein ideell und finanziell zu unterstützen. Man kann etwas verändern!

Sind Sie zuversichtlich, dass unsere Gesellschaft den Vorteil aufgibt, den sie durch die Leiharbeiter genießt?

Peter Kossen: Es geht nicht ohne Verzicht. Verzicht ist ein Privileg der Habenden. Man kann aber aus guten Gründen verzichten oder sich etwas zurücknehmen, wenn man weiß, dass man etwas Größeres dadurch gewinnt. Das Größere, das wir gewinnen, ist die Solidarität, der Zusammenhalt der Gesellschaft. So wie es jetzt läuft, wird die Gesellschaft entsolidarisiert, sie driftet auseinander.
 
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