Zwickau
Das Problem sitzt tiefer als viele denken, sagen die Organisatoren. Auch in der Region.
6 Uhr morgens beginnt der Einsatz der Bundespolizei, von dem es später heißen wird, er sei der größte in der Geschichte der Behörde gewesen. Am 18. April 2018 nehmen die Bundespolizisten mehr als 100 Personen in zwölf Bundesländern fest. Es geht unter anderem um den Verdacht der Zwangsprostitution. Es geht um einen international tätigen Menschenhändlerring. Auch in Zwickau gab es einen Einsatz. Die Meldungen schwanken zwischen einer und drei festgenommenen Personen in der Muldestadt. Es soll sich um Prostituierte aus Thailand handeln, die als Zeugen vernommen werden sollen.
Auch in Zwickau, natürlich auch in Zwickau ist Zwangsprostitution ein Problem, sagt Elisabeth Gippe (28). Die Erzieherin, die für die freikirchliche Gemeinde "Stadtlicht - Kirche für Zwickau" arbeitet, hat am Samstag bereits zum zweiten Mal einen Schweigemarsch organisiert, der genau auf dieses Problem hinweisen möchte. Der "Walk for freedom" der Organisation "A21" setzt sich für die Abschaffung moderner Sklaverei im 21. Jahrhundert ein. Am Samstag fand er weltweit an 450 Orten statt. In Sachsen gab es nur in Leipzig, Dresden und eben Zwickau entsprechende Kundgebungen.
Gippe war von der Razzia im April nicht überrascht. Diese habe nur belegt, was sie und Mitstreiterinnen schon lange wussten: Nämlich dass die aus eigener finanzieller Not geborene Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland nicht selten in den Händen skrupelloser Menschenhändler zerbricht. Ein loser Zusammenschluss von etwa 20 Helfern aus Kirchenkreisen unternimmt laut Gippe regelmäßig Hausbesuche bei Frauen, die sich in Zwickau in Wohnungen prostituieren. "Wir hören oft dieselben Geschichten", sagt Gippe. "Es beginnt mit falschen Versprechungen von einem Leben in Deutschland, von einem guten Arbeitsplatz. Und es endet dann oft in der Wohnungsprostitution." Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der "Atlas der Arbeit", der im Mai in Berlin vorgestellt wurde. Darin wird vor einer zunehmenden Gefahr gewarnt, als Zugewanderter in Deutschland in der Arbeitssklaverei zu landen, speziell in Hinsicht auf sexuelle Ausbeutung.
Besonders häufig treffe sie Frauen aus Osteuropa an, sagt Gippe. "Wir besuchen sie alle zwei Wochen, bringen kleine Geschenke und unterhalten uns." Einmal sei sie von einer wütenden Zuhälterin des Grundstücks verwiesen worden. Ansonsten habe es noch nie Zwischenfälle gegeben. Aber eben auch keine zählbaren Erfolge. "Noch nie hat eine Frau zu uns gesagt: Ich bin hier versklavt, helft mir raus", sagt Gippe. Die Situation sei mit zu viel Scham behaftet, die Frauen würden häufig auf den Ausstieg hoffen, seien aber eingeschüchtert, dass dann ihre Familien in der Heimat erfahren, was sie wirklich in Deutschland getan haben. "Es ist eine Parallelgesellschaft. Die Frauen sind gehemmt, die Nachbarn wissen davon, sehen aber oft das nicht die Notlagen, und die deutschen Gesetze machen es Zuhältern oft zu leicht."
An dem Schweigemarsch nahmen 81 Personen teil. Bei der ersten Auflage vor einem Jahr waren es 130. Egal, sagt Gippe. "Jeder Schritt macht einen Unterschied."