Meine prostitutionstechnische Sozialisation, als Schüler, fand in Frankfurt statt - und da gab's nur Laufhäuser. Also war für mich Prostition mit Laufhaus identisch.
Mein Weltbild als Junghurer kam völlig ins Wanken, als ich in anderen Städten keine solchen Laufhäuser fand.
In Berlin z.B. Dort gibt es inzwischen ein Laufhaus Hase. Aber das als Laufhaus zu bezeichnen, ist nur aus der Verlegenheit entstanden. Das berlintypische Puff ist eigentlich das Wohnungspuff. Aber das Laufhaus Hase ist in einem aus 2 Hälften bestehenden Knusperhäuschen untergebracht, das kann man schwer als Wohnung vermarkten. Und so erfand die Betreiberin, die auch sonst kreativ ist und Kunstausstellungen und Performances in ihrem Puff veranstaltet, das Laufhaus neu für Berlin. Hat aber nur rein gar nix mit dem Pascha oder Frankfurter Laufhäusern zu tun.
Als Schüler, ohne viel Moneten, latschte ich das Dutzend Laufhäuser im Frankfurter Bahnhofsviertel und auch die in der Breiten Gasse (hässlich und kalt, weil neu) oft abends ab. Körperertüchtigung, die nichts kostete im Gegensatz zu den Fitnessstudios.
Ich kannte die Treppenhäuser im Schlaf, jede Windung, jedes Knarzen, jede nachgebende Stufe, wo man acht geben musste, nicht abzurutschen. Und immer wieder das Ausweichen in den engen Treppenhäusern, die ja fast alle so um 1900 erbaut sind.
Dabei fiel mir auf, dass es zu den guten Sitten gehört, sich nicht anzuschauen. Also immer schön stur aneinander vorbei, ja kein Blickkontakt. Und einen Dritten anzusprechen, Witze zu machen, das ging schon mal gar nicht. Ich lernte: käuflicher Sex ist eine zu ernste Angelegenheit, um den Menschen zu entfalten, allenfalls das Triebtier in einem.
Und bald kapierte ich, warum man sich besser nicht anschaut. Denn da traf ich den ersten Nachbarn. Ich sah ihn erst auf der Taunusstraße. Ich war neugierig und folgte ihm. Er klapperte alle Laufhäuser ab, in der Taunus, Elbe, Mosel. Irgendwann verlor ich den Sichtkontakt.
Plötzlich stand er vor mir. Wohlerzogen sagte ich: "Ach guten Abend, Herr...". Er aber wortlos an mir vorbei, schnellen Schrittes, mich keines Blickes würdigend. Das waren auch die letzten Worte, die ich für den Rest seiner Tage an ihn richten konnte. Denn, wenn immer er mich sah, sah er weg und verdrückte sich. Ich meine, im normalen Leben.
Beim Ausweichen in den engen winkeligen Treppenhäusern traf ich im Verlaufe der Zeiten noch ein paar andere aus dem Familien- und Bekanntenkreis. Einmal auch einen Schwager von mir. Immer dasselbe: weggucken, nichts sehen, und erst recht nicht darüber sprechen. Ich traf ihn dann ja auch auf Familienfesten. Ein braves verklemmtes Kerlchen, total unterdrückt von meiner Schwester. Ich sprach ihn nicht darauf an und sprach auch mit niemandem in der Familie darüber.
Mit der Zeit lernte ich auch ein paar der Damen kennen. Unbedarft wie ich war, fragte ich auch viel. Bekam sogar Antworten, z.B. über die Zimmerpreise, darüber, dass die Damen erst einmal 5 Normalonummern hinter sich bringen mussten, um die Miete abzutragen und überhaupt eine müde Mark zu verdienen. Ich fand's ne Sauerei. Aber mein bisschen Geld wollte ich nun auch nicht dahinbringen, ich gab's mehr für Bücher aus. Und zum Vögeln hatte ich privat ausreichend.
Für mich als so 16 bis 20- Jähriger war das Laufhaus so eine Zirkusnummer. Manche Mädels kannten den Jungschen, mit dem sich manche ganz gerne unterhielten, immer den Augenkontakt haltend auf mögliche Interessenten. Einen kostenlosen Bumbs gab's aber nicht, ließ auch meine Ehre nicht zu.
Ich lernte eine Lady dort ganz gut kennen, übers Reden. Dann kleine Billignummern. Sie prägte mein Frauenbild: groß, blond, selbstbewusst. Ein paar Jahre später machte sie einen Aufstieg: sie wurde die Freundin eines Laufhaus-Pächters, schaffte nicht mehr an, betrieb seinen Imbiss. Wir blieben lange befreundet, ich auch mit ihm. Aber natürlich nix mehr mit Sex, von wegen Ehre. Obwohl sie jammerte, dass sich sexuell zwischen ihnen nichts mehr abspiele.
Heute bringen mich keine 10 Pferde mehr in ein Laufhaus. Der Anfang vom Ende, war das Pascha. Ich fand's grauslich. Ein kühler Kasten in einem Glasscherbenviertel, völlig unpersönlich, auf Abzocke gezielt. Ich probierte es ein paar Mal. Aber es war immer wie Melkmaschine.
Inzwischen nach vielen Umwegen in Berlin gelandet. Ohne Laufhaus, gut so (ausgenommen das Nichtlaufhaus Hase). Statt dessen das Berliner Wohnungspuff, auf das ich als kulturelle Institution ein Loblied singe.