Die Reiselust erwacht
Als ich 31 Jahre alt war, also genau vor 14 Jahren, sah ich im Fernsehen eine Sendung über Reisen in fremde Länder. Die Sendung handelte von einem Mann, der ganz alleine eine Reise rund um die Welt machte. Der hat mich vielleicht beeindruckt, sowas wollte ich auch mal erleben. Bisher habe ich ja meine Urlaube entweder mit meinen Eltern im Schwarzwald oder am Gardasee in Italien verbracht. Mit Heidrun war ich auch einmal, für ein paar Tage, in Paris. Aber so ganz alleine rum zu reisen, das habe ich bisher noch nicht gemacht.
Zu der Zeit wurden wir im Büro vernetzt. Und damit hatten wir auch an jedem Arbeitsplatz Zugang zum Internet. Da ich mein Mittagessen sowieso immer von Mutti mitbekam, konnte ich also während der Mittagspause immer im Internet surfen. Da besuchte ich dann all die Destinationen, die ich in einem grossen Reisekatalog gesehen habe. Ich hatte mir vorgenommen, während jeder Mittagspause eine Destination zu besuchen. So war ich innert einigen Wochen, wenigstens im Geiste, in Indien, Brasilien, Thailand, Kenia, bin den Highway 66 runter gefahren, habe erste Kletterversuche in den Rocky Mountains gemacht, bin auf den Malediven im Meer geschnorchelt, bin in Bormio Ski gefahren, habe in der Sahara in einem Wüstencamp übernachtet und habe viele weitere Traumorte besucht. Einmal habe ich mir sogar vorgestellt, dass ich in Las Vegas heirate.
Je mehr ich mich mit dem Reisen auseinander gesetzt habe, desto stärker wurde mein Fernweh. Ich habe auch so einiges an Büchern gekauft und regelrecht verschlungen. Besonders die Bücher von Rüdiger Nehberg (
http://www.ruediger-nehberg.de/) waren äusserst interessant zu lesen.
Im meinem Arbeitszimmer zuhause, hatte ich direkt links von meinem Schreibtisch ein grosses Poster an der Wand. Darauf war die Weltkarte abgebildet und an meinem Computer plante ich meine Reisen in die weite, unbekannte Welt. Meine Mutter hat dies mit Skepsis verfolgt. Aber sie sagte auch, dass sie nichts dagegen habe, solange ich die Reisen nicht in die Tat umsetze. Da war also noch eine Knacknuss zwischen Traum und Realität. Ich vertraute auf den Faktor Zeit. Mit der Zeit werde ich eine Lösung finden, um die Nuss zu knacken.
Und wie es der Zufall will, war ich einige Wochen später wieder mal in der nahen Grossstadt. Du weisst schon, Gerhard hatte mich für ein Weekend eingeladen. Ich fuhr schon am Samstag Mittag mit dem Zug in die Stadt. Mit dem Bus war ich dann schnell in dem Quartier, wo ich mich immer wohl fühlte und übrigens immer noch wohl fühle.
Durch das Quartier verläuft eine Hauptstrasse. An dieser Strasse reihen sich die Nachtlokale an einander auf, die Perlen auf einer Kette. In den Seitengassen versteckt, findet Mann auch das, was Mann so ab und zu braucht. Mittlerweilen kannte ich dieses Quartier sehr gut. Ich wusste immer, wann, in welchem Lokal oder Bordell, die Liebesdienerinnen wechseln. Das ist für einen Freier sehr wichtig, denn bei mehrmaligem aufsuchen der gleichen Hure, besteht die Gefahr, dass Mann sich verliebt. So eine konnte ich meinen Eltern auf keinen Fall antun.
Den Tipp mit dem Wechsel der Liebesdienerin, habe ich während meinem ersten Besuch im Rotlichtmilieu erhalten. Damals hat man mir wohl angesehen, dass ich mit der Halbwelt noch keinerlei Erfahrungen hatte. Ich lief die Hauptstrasse rauf und runter und begutachtete die Fotos, mit den halbgekleideten Damen der Nacht. Vor dem Nachtclub 2001 erregte eine Südamerikanerin, mit süssem Lächeln meine Aufmerksamkeit. Wie die mich so sympathisch vom Foto anlächelte, 'dass muss bestimmt eine gute Frau sein', ging es mir durch den Kopf. Ans Vögeln habe ich dabei nur am Rand gedacht. Also trat ich in das Etablissement ein. Gleich nach der Türe, versperrte ein dicker, roter Vorhang die Sicht in die Bar. Für mich war das Durchstechen des Vorhangs wie das Überschreiten einer sichtbaren Grenze.
Jetzt war ich, Daniel also in das Sexmilieu eingetaucht. Ich war gespannt, was sich mir alles offenbaren würde. Schnell hatten sich meine Augen an das schummrige Licht gewöhnt. Links vom Eingang war die Bar. In der Mitte war ein etwa 2 Meter breiter Durchgang und rechts waren Tische in Nischen platziert. Die Nischen könnte man mit roten Vorhängen zumachen. Dass das Separees sind, wusste ich noch nicht. Im hinteren Teil der Bar war eine Bühne mit einer verchromten Stange vom Bühnenboden, bis an die Decke. Um auf die Toilette zu gehen, musste man den Gang in Richtung Bühne laufen, vor der Bühne nach links gehen und eine Treppe hinauf steigen. Die ganze Bar war vielleicht 50 oder 60 Quadratmeter gross. Auch heute noch, ist sie genau so möbliert, wie ich es beschrieben habe. All paar Jahre werden Teppich, Vorhänge und abgetragene Stoffbezüge in den Separees ausgetauscht, aber sonst ist es immer noch der Originalzustand.
Ich setzte mich gleich links beim Eingang an die Bar. Dass dies nicht gerade ein strategisch Günstiger Platz war, erfuhr ich erst später. Ich dachte halt, es sei nicht verkehrt, die Bühne im Blickfeld zu haben.
Die Bardame hat mich herzlich begrüsst und gefragt, was ich zu trinken wünsche. Ich habe ein Cola bestellt, mit einem Schnitz Zitrone, aber ohne Eis. Ein älterer, gepflegter Herr, der an der entgegengesetzten Seite an der Bar sass, hat mich aufmerksam gemustert. Das war mir unheimlich peinlich. Ich habe befürchtet, dass er mir angesehen hat, dass ich erstens total notgeil war und zweitens zum ersten Mal in einem Nightclub war. Ich nippte verlegen am meinem Cola und schaute mich in der Bar um. Gerade, als ein Song fertig war, rief er mir zu:
"So wie du ausschaust, kennst du dich hier nicht aus." Ich nickte nur stumm, denn ich war überrascht, von einem Herren angesprochen zu werden.
"Komm her Jung und lausche aufmerksam meinen Worten!" rief er mich zu sich. Der Bardame rief er zu: "Bring mal zwei Wodka Lemon für meinen neuen Freund und mich!" und wieder zu mir gewandt sagte er: "Komm und hock dich her. Hör mal gut zu mein Junge!"
Ich ging zu ihm rüber und stellte mich freundlich vor: "Hallo, ich bin der Daniel." "Das ist eigentlich egal, aber ich heisse Paul. Pass mal gut auf mein Jung, denn gerade eben habe ich gute Laune und deshalb will ich dir einige Tipps geben, wie du dir bittere Erfahrungen mit dem Milieu ersparen kannst." Das fing ja gut an, warum sollte ich dem Paul nicht lauschen, ich muss ja wirklich nicht die gleichen Fehler machen wie er. Zudem vertraue ich ja auch immer der Meinung meiner Mutter und bin bisher nicht schlecht gefahren damit.
Die Bardame brachte unsere Wodkas und wir stiessen auf unsere Bekanntschaft an. Dann war ich aber neugierig und bat Paul, mir reinen Wein einzuschenken. Ich hing förmlich an seinen Lippen und hätte ich einen Notizblock dabei gehabt, ich schwöre es ich hätte alles mitgeschrieben. Paul, das merkte ich sofort, hatte eine reiche Lebenserfahrung. Von dem konnte ich nur profitieren. Er kam mir auch so vor, als genösse er, mir als sein Jung, Hintergrundwissen bei zu bringen.
"Ich habe in meinem Leben schon viel erlebt, ich behaupte sogar, dass ich mehr erlebt habe, wie normalerweise zwei Menschen erleben. Darum ist mein Erfahrungsschatz beinahe unergründlich. Mehr musst du jetzt zu meiner Person nicht wissen." führte er ins Thema ein.
Ich nickte ihm aufmerksam zu und war schon gespannt, was er alles zu berichten wisse, als neben mir die süsse Frau vom Foto vor der Tür Platz nahm und mich in gebrochenem Deutsch fragte: "Hallo ich bin Gabriella und wie heisst du?" Freundlich lächelnd, streckte sie mir ihre rechte Hand zum Gruss entgegen. Eben wollte ich Graziella die Hand geben, als Paul rief: "Hey du Nutte, hau ab wenn sich zwei Männer unterhalten!"
Ich muss gestehen, dass mich Paul geschockt hat, so geht Mann ja nicht mit einer Dame um. Aber er hat mir sofort erklärt, dass der Mann das sagen haben muss. Immerhin bezahle er ja auch und sei es nur ein Ladydrink, den Sex oder halt den Lebensunterhalt der Ehefrau.
Ja, das hat mir irgendwie eingeleuchtet, aber ich habe es eben immer anders herum erlebt. Nicht was das Zahlen anbelangt, aber die Hose hatte immer die Frau an. Sei das nun meine Mutter, oder aber Heidrun und meine anderen beiden verflossenen.
"Jetzt hast du schon Lektion Nummer 1 hinter dir. Du bist Gast hier und als Gast bist du König. Der König zahlt und befiehlt, die Nutten haben zu spuren, denn sie werden ja für ihre Arbeit bezahlt. Zudem sind sie verlogen und versuchen, den Unbedarften über den Tisch zu ziehen." sagte er und leerte den Resten Wodka aus seinem Glas. Derweilen hatte ich meines noch zu 3/4 voll. Ich kann schlecht zuhören und auch noch trinken, wogegen Paul keinerlei Probleme hatte mit trinken und sprechen. Manchmal so schien es mir, tat er sogar beides gleichzeitig. Mir war ein Rätsel, wie er nebenher noch atmete, denn jetzt war er richtig in Erzähllaune geraten. Vermutlich hat der Alkohol nicht einen unwesentlichen Beitrag dazu geleistet.
"Regel Nummer zwei ist, dass du niemals zu der gleichen Nutte zurückkehren sollst. Die Verliebungsgefahr ist einfach zu gross. Die Huren wissen ganz genau, wie sie dich um den Finger wickeln müssen. Nicht alle, aber einige wollen nicht dein Sperma, denn das bekommen sie sowieso. Nein, sie wollen an deine Brieftasche und das nicht zu knapp. Und glaub mir, sie sind uns emotionell einfach überlegen, die finden immer einen Weg, zu Geld zu kommen. Kein Wunder, es ist ja ihr Beruf."
Regel Nummer zwei hat mir sofort eingeleuchtet, denn das mit dem Geld und Beruf konnte ich logisch nachvollziehen. Bei Regel Nummer eins hatte ich schon weit mehr Mühe, und ich muss gestehen, ich habe selbst jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe noch meine liebe Mühe damit. Obwohl sich Regel eins inzwischen mehrfach bestätigt hat, aber dazu später mehr.
Paul führ unbeirrt weiter und fragte mich, ob ich schon mal in Kenia, Brasilien, Thailand oder auf den Philippinen im Urlaub war, so um der Libido freien Lauf zu lassen. Ich verneinte, geriet aber gerade zu ins Schwärmen. In meiner Vorstellung hatte ich ja auch diese Länder als Abenteurer mehrmals besucht. Dies tat er mit einer abwehrenden Handbewegung und den Worten: "Vergiss es!", ab.
"Ich habe schon alle diese Länder bereist und noch einige mehr. Ich war sogar schon in Rumänien, Bulgarien und in Tschechien. Sehenswürdigkeiten habe ich auch gesehen, aber so was kann ich auch im Internet anschauen, genau gleich wie du. In den genannten Ländern ist aber der Sex weit billiger wie hier in unserem Land."
Ich war baff, der Paul war ja schon weit herumgekommen. Obwohl ich ihm bei Regel Nummer eins nicht zustimmte, stieg er in meiner Achtung. Von dem konnte ich ja wirklich viel lernen. Unbeirrt durch meine gedanklichen Abschweifungen, fuhr Paul mit seinen Ratschlägen fort:
"Wenn du in eines dieser Länder reist, der Befriedigung deines sexuellen Triebes wegen, dann merke dir zwei Sachen, womit wir bei Regel drei a) und b) wären: Nimm nie länger als drei Tage die Dienste einer Urlaubsbegleitung in Anspruch. Die Nutten wissen genau, was du brauchst. Und genau das, geben sie dir. Natürlich gefällt so was uns Männern, weil die Hure, die dich begleitet nie Kopfweh oder gar Migräne hat, von schlechter Laune will ich jetzt gar nicht sprechen. Da fühlt sich sogar ein abgebrühter Mann kurzzeitig gebauchpinselt. Zudem setzt nach drei Tagen der Gewöhnungseffekt ein. Ich habe schon viele Männer getroffen, die das als Liebe bezeichnet haben. Zudem denken sie, dass die Hingabe der Damen etwas mit Liebe zu tun habe. Auch das ist ein ausgekochter Schmarren. Die Huren tun nur ihren Job. Die guten tun ihn verdammt noch mal so gut, dass du vergisst, dass sie eine käufliche Matratze ist. Wer sich nicht im Griff hat und nur mit dem Schwanz denkt, ist verloren.
Darum Regel Nummer 3 a): Nimm niemals eine Nutte länger wie drei Tage mit auf Reise und b) nimm die direkt nach einer Longtimebeziehung eine Hure für ne Stunde oder zwei. Dann siehst du wieder klar und deutlich.
Es sei denn …. aber dann ist sowieso Hopfen und Malz verloren."
Mit dem letzten Satz hatte Paul auch seinen Wodka Lemon weggekippt, war vom Barhocker gestiegen, hat einer vorbeilaufenden Brasilianerin einen Klaps auf den Po gegeben und ist mit ihr in einem Separee verschwunden. Gerne hätte ich ihm noch ein paar Verständnisfragen gestellt. Aber ihn in seinem Tun mit der Brasileira zu stören wäre mir nie im Traum eingefallen.
Obwohl ich noch viele Male im Nachtclub 2001 Gast war, Paul habe ich nie wieder getroffen. Ob er wohl die Brasilianerin zu lange gebucht hat?