Ein Augenzeugenbericht
Als Blond 17 Jahre alt war hat er seinen ersten Roman begonnen zu schreiben. Alles beginnt an einem ganz normalen Tag, Blond wacht auf wie immer, aber befindet sich in seinem eigenem Gehirn, nur weiß er das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Heute Nacht ist Blond genau dort angekommen und es ist nicht klar, ob diesen Ort jemals wieder verlassen wird.
Köln, 22. Juni 2007. Blond sitzt in seinem Hotelzimmer, die Wodkaflasche ist leer und doch hält er sie in seinen Händen als ob sie ein letztes Band zu seinem Leben sei. Er greift zum Telefon, klickt sich durch die vielen Telefonnummern bis er schließlich bei einem Kölner Escortanbieter inne hält, wählt und eine Dame bestellt. 30 Minuten klopft es an seine Tür, er schlüpft schnell in eine Jeans, öffnet und bittet die Dame herein.
Sie ist 19, hat einen Pagenkopf und arbeitet neben dem Escort noch in einem Kölner Saunaclub. Sie ist Polin, nett, zurückhaltend und etwas an ihr riecht nach Tod wie ihr Mund gleich nach Red Bull riechen wird.
Blond versucht zu lächeln, er sieht gut aus heute Nacht, hat gut fünf Kilo abgenommen in den letzten Wochen, ist braungebrannt und selbst seine Augenringe sind verschwunden.
Er bittet sie mit in die Dusche zu kommen, legt den Hebel um und stellt sich unter das heiße Wasser mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Sie kommt zu ihm in die Duschkabine, preßt ihren Rücken an seinen Bauch, berührt in zaghaft mit beiden Händen an seiner Hüfte. Blond ist starr, steht einfach nur da. Nur alle paar Sekunden erinnert er sich ihr einen Schwall Wasser aus dem Duschkopf abzugeben.
Mit der anderen Hand versucht er sie zu streicheln. Das Mädchen hat einen straffen Körper, schöne kleine Brüste mit wunderbar blühenden Knospen, wie Blond sehen und fühlen kann. Doch innerlich ist er kalt, fühlt gar nichts. Ihr Streicheln wird wahrgenommen, seine Sinne reagieren, aber doch ist es als ob er nur eine Erinnerung fühlt, die Realität gar nicht wahr nimmt.
Er denkt an seine Frau. Erinnert sich an die Erinnerung wie es war genau an diesem Ort. Wie oft sie hier gestanden hatten, wie gerne er sie angefasst, ihren Körper gewaschen und massiert hat.
Es waren nur wenige Wochen, die sie einander hatten und doch fühlt Blond, dass es keine Frau vor ihr gegeben hatte. Er hat keine Tränen mehr. Er steht einfach nur da, während das Wasser vor sich hinplätschert und sie ihn sacht mit beiden Händen seine Hüften berührt.
Als sie nach Minuten fragt, ob er nun genug geduscht hätte, trocknen sie sich ab und gehen in sein Schlafzimmer. Sie legen sich ins Bett und Blond fühlt sich als ob er so etwas noch nie in seinem Leben gemacht hätte.
Auch sie hält sich zurück, greift ihm zwar kurz an den Schaft, aber legt sich dann einfach nur neben ihn. Es ist als ob sie seinen Schmerz fühlen kann und sich wie ein verwundetes Tier nur neben ihn legen will.
Nach Minuten fragt sie, was sei. Und Blond antwortet ihr, dass bis vor einer Weile noch eine andere Frau in diesem Bett gelegen hätte. Nun sei sie tot und er würde sie jetzt betrügen.
Sie sagt nichts. Liegt wieder nur neben ihm bis sie irgendwann anfängt ihn zu küssen. Es sind keine wirklichen Küsse, mehr reibt sie ihre Wangen an den seinen. Eine ganze lange Weile lang.
Als sie später seinen Schaft zu massieren beginnt, spürt Blond wieder nur nichts. Es ist als ob sein Unterkörper gelähmt, seine Libido gebrochen ist. Auch als sie ihren heißen, nassen Mund um das Häuflein Elend schließt, das einstmals ein starker Mast bei jedem Wetter war, passiert genau gar nichts. Blond spürt es nicht, er nimmt es nicht einmal zur Kenntnis.
Erst nach einigen Minuten, die sie mit vollem Gewicht auf seinem Bauch liegt, bemerkt er das unangenehme Gefühl und schiebt sich ein wenig zur Seite, was sie wahrnimmt, aber wohl nicht versteht und weiterhin mit ihrem Oberkörper auf ihm liegen bleibt, während sie an seinem schlaffen Glied lutscht.
Dann irgendwann, sagt Blond zu ihr, dass es Zeit wäre Sex zu versuchen. Schon diese Ausdrucksweise stammt nicht aus seinem Ausdrucksfundus. Ein anderer Blond hat die Kontrolle über ihn übernommen. Blond fragt sich, was er sich hier antut und ob er Schaden an seiner Seele nehmen wird, wenn er dies hier weiter zuläßt.
Erst als sie ihm ein Gummi reicht und er es über seinen Schaft rollt, beginnt sich dieser mit Leben zu füllen. Es ist als ob das Gummi ihn zurückholt, ihm zeigt, dass hier eine andere Frau zu liegen kommt, dies nichts mit seinem Leben, seinen Gedanken zu tun hat.
Sie legt sich auf den Rücken und er dringt ein. Noch spürt er wenig, wundert sich nur, dass sie ihn so einfach empfangen kann.
Während er sein Becken auf und ab bewegt, kurz auch die Lieblingsbewegungen seiner Frau miteinfließen läßt, ist es ihm als ob sie da sei, denn genau jetzt beginnt das Mädchen unter ihm lauter zu werden. Er stoppt diese Bewegung sofort und verfällt ihn ein langsames, montotones auf und ab.
So geht es eine Weile, sie wird lauter, klammert sich an ihn, hält ihn ganz fest. Ihre Küsse werden intensiver, nasser. Er fühlt nun anders herum nichts mehr. Sein Schwanz funktioniert, regiert, lebt, aber der Rest seines Seins liegt im Sterben.
Irgendwann kommt er und bleibt für eine Sekunde auf ihr liegen. Dann greift er zum Gummi, sagt "alles in Ordnung" und zieht sich aus ihr zurück.
Dann sitzt er da. Sie liegt neben ihm, richtet sich halb auf und sagt: "Ich kann Dich gut verstehen." Dann erzählt sie ihm kurz eine traurige Episode aus ihrem Leben.
Wortlos sitzen sie nun hier, die Minuten vergehen, ein jeder tief in Gedanken irgendwo am eigenen Lebensfaden bis sie ihn fragt, ob sie rauchen dürfte.
Er sagt "Nicht hier.", steht auf und öffnet die Tür zum Balkon. Beide zünden sich eine Zigarette an. Er stellt sich an die Brüstung und schaut über Köln, sieht nichts, spürt nichts, fühlt nur, dass sie tot ist. Seine Frau ist soeben gestorben.
Er fragt sich welch makabre Szene das Leben hier spielt, ob er schuld an diesem Drehbuch ist und ob er der jungen Dame nicht sagen soll, dass seine Frau nicht tot ist. Er läßt es und wundert sich darüber, dass er dieses Gefühl so sehr in sich haben kann, dass ein anderer es wahrnehmen muss, er fühlt den Tot seiner Frau, überlegt, was wäre, wenn sie genau jetzt eben weit weg in einer anderen Stadt gestorben sei. Aber er kommt nicht weiter mit diesem Gedanken, er fühlt nur ihren Tot als ob sie tatsächlich das Zeitliche gesegnet hätte.
Blond wird sich bewußt, dass er zu weit geht, seinem Kopf diese Freiheit zu lassen, zu weit geht, so zu denken. Er lächelt bitter beim Gedanken, dass es vielleicht das beste sei, sich in psychatrische Behandlung zu begeben. Was ihm hier widerfährt hat nichts mehr mit gesund lebbaren Zufällen zu tun.
Die Zigaretten sind geraucht, sie verlassen den Balkon, sie geht und Blond fragt sich, ob es möglich sei nie mehr etwas von ihr zu hören und in diesem Zustand der Trauer zu bleiben.
Einfach nur sitzend zwischen zwei Zigaretten, nicht mehr aufstehen, nichts mehr denken und eine sinnlose aber zufriedenstellende Leere in sich einkehren zu lassen.
So sitzt er nun hier, immer noch. Die Nacht ist warm, die Lichter von Köln zeigen ihr Gesicht, während die letzte Schachtel ihrer russischen Zigaretten leerer und leerer wird.